Magazin
MAGAZIN
Wie Phönix aus der Asche
#stadtplanung

Wie Phönix aus der Asche

Im einstigen Industrieviertel der südenglischen Stadt Lewes entsteht Großbritanniens größtes Quartier in Holzbauweise. Phoenix nennt sich das neue Stadtgebiet, mit dem ein kleiner Developer den britischen Wohnbausektor aufmischt.

Der Wohnbausektor in Großbritannien ist seit einigen Jahrzehnten in festen Händen. Während der Markt früher von einer Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen bespielt wurde, werden heute laut dem Branchenportal „building.co.uk“ 80 Prozent aller neuen Wohnungen von fünf großen Playern gebaut. Der neue Entwickler Human Nature aus East Sussex möchte den Beweis antreten, dass auch kleinere Unternehmen mitmischen und mitunter erfolgreicher sein können als die Platzhirschen. Nämlich wenn es darum geht, leistbaren Wohnraum und ein Stadtgefüge zu schaffen, das architektonischen Anspruch hochhält und ökologisch und sozial nachhaltig ist. Mit dem Projekt Phoenix in der historischen Stadt Lewes in East Sussex soll eine Industriebrache zur neuen Vorzeigestadt werden. Und zu Großbritanniens größtem Stadtgebiet, das aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gebaut ist.

Phoenix, Lewes, Holzbau, England, Human Nature, Periscope
So soll das neue Viertel in Holzbauweise in der südenglischen Stadt Lewes aussehen.

Ehemaliger Greenpeace-Chef als Developer

Bei ähnlichen Projekten dieser Art seien es meist die nachhaltigen und sozialen Aspekte, die im Sinne der Gewinnmaximierung als erstes dem Rotstift zum Opfer fallen. „Grundsätzlich ist es unsere Überzeugung, dass Grundstückseigentümer und Entwickler zu viel Geld auf Kosten der Gemeinden, der Qualität und der Nachhaltigkeit von Orten abziehen und dass ein neues Gleichgewicht gefunden werden muss“, erklärt Jonathan Smales, CEO von Human Nature und früherer Geschäftsführer von Greenpeace. „Human Nature hat sich bei diesem Projekt für eine kleinere Gewinnspanne entschieden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und der Stadt mehr soziale und wirtschaftliche Vorteile zu bieten.“

Human Nature hat sich bei diesem Projekt für eine kleinere Gewinnspanne entschieden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und der Stadt mehr soziale und wirtschaftliche Vorteile zu bieten.

Jonathan Smales, CEO von Human Nature

Smales und sein Team sind in der Gegend im Südosten Englands persönlich verwurzelt und nicht dem großen Druck von Shareholdern oder Kreditgebern ausgesetzt, der viele Entwickler dazu bringt, Kosten zu senken und Kompromisse bei der Qualität einzugehen. Dass Human Nature einen anderen Weg gehen will, zeigt schon das etwas großspurige Intro-Statement auf ihrer Website: „Es gibt eine viel, viel bessere Welt. Aber man muss sie gesehen haben, um daran zu glauben.“ Mit dem Großprojekt, das auf dem Gelände des ehemaligen Eisenwerks Phoenix an die 700 neue Wohnungen entstehen lässt, möchte Human Nature die Latte für neue Mixed-Use-Projekte in Großbritannien höher legen.

Phoenix, Lewes, Holzbau, England, Human Nature, Periscope
Eine Wohnhausanlage direkt am Fluss Ouse nach den Plänen des Büros Adam Richards Architects.

Ein Masterplan für die autofreie Stadt

Phoenix ist als fußgänger- und fahrradfreundliches Viertel konzipiert, in dem es nur sehr begrenzt straßenseitige Parkplätze gibt. Stellplätze für Autos gibt es stattdessen in einem sogenannten Co-Mobility Hub am südlichen Rand des Viertels. Car- und E-Bike-Sharing sowie ein Shuttlebus-Service sollen dazu animieren, dass auf das Fahren im eigenen Auto möglichst verzichtet wird.

Den Masterplan für das neue Stadtgebiet hat das Team von Human Nature zusammen mit dem Architekturbüro Periscope und Kathryn Firth erstellt, der Leiterin der Urban-Design-Abteilung des Planungsbüros Arup. Die Gebäude sind zwei- bis fünfstöckig geplant und orientieren sich an lokalen Typologien und baukulturellen Gegebenheiten.

Masterplan, Phoenix, Lewes, Holzbau, England, Human Nature, Periscope
Der Masterplan für das neue Stadtviertel setzt auf fußgänger- und fahrradfreundliche Straßen.

Ressourcen schürfen im Bestand

Den Bestand des einstigen Industrieviertels will man, so weit es möglich ist, renovieren und für die gemeinschaftlichen Bereiche wie Kantine, Veranstaltungssaal, Fitness Center und Werkstätten nutzen. Darüber hinaus soll in den nicht erhaltenswerten Bestandsstrukturen nach wiederverwendbaren Rohstoffen geschürft werden.

Die Firma Local Works Studio aus East Sussex, die auf die kreative Wiederverwendung von Materialien spezialisiert ist, hat das gesamte Grundstück begutachtet. Dabei wurden alle verbauten Materialien, die sich wiederverwenden oder recyceln lassen, katalogisiert, in erster Linie sind das Stahl, Holz, Ziegel und Beton. Aus einem Stahlgerüst will man beispielsweise eine neue Fußgängerbrücke über den Fluss Ouse errichten, der das Grundstück an der Ostseite begrenzt.

Bestand, Phoenix, Lewes, Holzbau, England, Human Nature, Periscope
Einige Bestandsgebäude des Industriegebietes sollen erhalten um umgenutzt werden, in anderen wird nach wiederverwertbaren Materialien geschürft.

Alle Neubauten in Holzbauweise

Die Energieeffizienz des neuen Stadtviertels und der Betrieb durch erneuerbare Energien zielt auf einen CO2-armen Betrieb ab. Alle geplanten Neubauten in Phoenix sollen in Holzbauweise errichtet werden. Das Holz dafür wird vermutlich aus dem kontinentalen Europa bezogen, während das Holz für die Fassadenpaneele aus lokaler Produktion stammt.

Das Bauen mit natürlichen Materialien liegt auf der Hand, wenn man es mit der Nachhaltigkeit ernst meint und sich nicht bloß Lippenbekenntnissen hingibt.

Jonathan Smales, CEO von Human Nature

Immerhin ist East Sussex die Grafschaft mit den zweithöchsten Waldbeständen in England. Das Potenzial für einen langfristig erfolgreichen Industriezweig sei laut Smales vorhanden. „Das Bauen mit natürlichen Materialien liegt auf der Hand, wenn man es mit der Nachhaltigkeit ernst meint und sich nicht bloß Lippenbekenntnissen hingibt“, so Smales. In herkömmlicher Bauweise würde es 40 Jahre dauern, um die entstandenen Emissionen wieder auszugleichen, rechnet er vor.

Phoenix, Lewes, Holzbau, England, Human Nature, Periscope
Am Flussufer sollen öffentliche Bereiche mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen.

Erfolg durch Nachhaltigkeit

Das Projekt hat kürzlich die Baugenehmigung erhalten, eine Hürde, an der ein anderer Developer zuvor gescheitert war. Eine lokale Interessensgruppe namens Lewes Phoenix Rising hatte sich gegen das Vorgängerprojekt ausgesprochen und forderte eine dezidiert nachhaltige Entwicklung des Areals. 

Dass die Industriebrache nun wie Phönix aus der Asche steigt, ist nicht zuletzt der sozialen Nachhaltigkeit des aktuellen Projektes zu verdanken. Mit seinem Konzept will Human Nature die Menschen mitnehmen und ihnen Perspektiven bieten. Im Zuge des Immobilienprojektes soll eine Reihe an Arbeits- und Ausbildungsplätzen entstehen. Die Fassadenpaneele etwa werden aus Holz und Hanfbeton in einer Produktionsstätte vor Ort hergestellt. Damit will man jungen Menschen die Möglichkeit bieten, in Kooperation mit dem East Sussex College eine Ausbildung in nachhaltigen Bauweisen zu absolvieren.

Text: Gertraud Gerst
Fotos und Visualisierungen: Human Nature, Periscope, Adam Richards Architects, Ash Sakula Architects, Mae Architects

Weitere Artikel
für Sie:

Die Frau hinter Henning Larsen
#architektur
Die Frau hinter Henning Larsen

In über 20 Jahren hat CEO Mette Kynne Frandsen das dänische Architekturbüro Henning Larsen zu dem gemacht, was es heute ist: ein Pionier, der weltweit nachhaltige Architektur von ikonischem Wert schafft. Bevor sie als CEO abdankt, hat sie uns noch ein Interview gegeben.

Ein Hochhaus im Dorf
#wohnen
Ein Hochhaus im Dorf

Ein eigenwilliger Holzbau in Oberösterreich räumt einen Architekturpreis nach dem anderen ab. Das Hohe Schwarze von Schneider Lengauer Pühringer Architekten zeigt, dass der umstrittene Wohntyp Einfamilienhaus nach wie vor seine Berechtigung hat.

Gar nicht auf dem Holzweg
#architektur
Gar nicht auf dem Holzweg

Das australische Architekturstudio Hassell hat mit seiner Nachverdichtung in Holz einen wertvollen Beitrag für die Macquarie University geleistet – architektonisch, praktisch und thematisch. Entstanden ist eine juristische Fakultät mit Innovation und Geschichte.

In Albert Einsteins Fußstapfen
#greenbuilding
In Albert Einsteins Fußstapfen

Das Europäische Forschungszentrum für Kern- und Teilchenphysik erforscht den Aufbau der Materie. Eine Erkenntnis ist gesichert: Das neue Forschungszentrum CERN B777 von Henning Larsen wird rund sein und großteils aus Holz bestehen.

Ein Sommerhaus, das mitwächst
#wohnen
Ein Sommerhaus, das mitwächst

Im Norden der dänischen Insel Seeland haben Norm Architects das Heatherhill Beach House entwickelt – ein Strandhaus, das so wandelbar ist wie die umgebende Natur.

Eine Uni probt die Bauwende
#greenbuilding
Eine Uni probt die Bauwende

Das Marga Klompé Haus der Universität Tilburg ist das erste Unigebäude der Niederlande, das aus Holz gebaut ist. Teil des kreislauffähigen Designs von Powerhouse Company ist eine Dämmung aus recycelten Jeans.

Ein Hafen macht auf
#stadtplanung
Ein Hafen macht auf

Baltimores Inner Harbor soll revitalisiert und noch mehr ein Ort für Menschen werden. Die beauftragten Architekten von 3XN wissen, was sie tun, denn Kopenhagen hat dieselbe Entwicklung bereits hinter sich.

Ein Holzbau für den Wiener Prater
#greenbuilding
Ein Holzbau für den Wiener Prater

Das neue Pratermuseum ist eröffnet. Architekt Michael Wallraff hat einen der ersten öffentlichen Holzbauten der Stadt entworfen und das Klimasystem gemeinsam mit einem Wiener Start-up dekarbonisiert.

Die tun was für Studierende
#architektur
Die tun was für Studierende

ASAS arkitektur hat die Studentenwohnheime der Toneheim Folkehøgskole durch neue ersetzt. In der Mitte: ein Hof, der in Norwegen traditionell „Tun“ heißt. Die dorfähnliche Struktur fördert das Zusammenspiel der Bewohner. Perfekt für ein Musik-College.

Die schickste Tanke landauf, landab
#architektur
Die schickste Tanke landauf, landab

Am nördlichen Stadtrand von Coburg entsteht ein öffentlicher E-Ladepark, der zum inklusiven Ausfliegsziel im Grünen werden soll. Das Büro DKFS Architects setzt auf einen futuristischen Holzbau, der Natur und Technik in Einklang bringt.

Mach die Welle!
#architektur
Mach die Welle!

Das Kilden Performing Arts Centre in der norwegischen Stadt Kristiansand ist eine Freiformkonstruktion aus Holz mit über 14.000 Einzelteilen. ALA Architects schafften eine Form mit dramatischer Geste – und konkreter Funktion.

Turmbau zu Großarl
#hotel
Turmbau zu Großarl

Das Naturresort Moar Gut in der Salzburger Bergwelt hat Zuwachs bekommen. Die Neubauten in moderner Holzbauweise passen zur lokalen Baukultur und stärken den bäuerlichen Bestand. Zentrales Element der Erweiterung sind die 5-geschossigen Suitentürme.

Ein Holzbau für McDonald’s
#greenbuilding
Ein Holzbau für McDonald’s

In São Paulo befindet sich Brasiliens „nachhaltigster McDonald’s“. Er ist aus Holz gebaut und dient als Lehrprojekt für das nachhaltige Bauen. Für den Konzern ist der Holzbau ein „Rezept für die Zukunft“.

Schüsselerlebnis à la Japan
#stadtplanung
Schüsselerlebnis à la Japan

In Japan entsteht mit dem Hida Furukawa Station Eastern Development ein neues öffentliches Zentrum in Form einer traditionellen japanischen Schüssel. Sou Fujimoto verbindet damit Tradition mit Moderne – und ganz viel Natur.

Bhutan baut die Stadt der Zukunft
#stadtplanung
Bhutan baut die Stadt der Zukunft

Das kleine Königreich hat große Pläne: Mit der visionären „Mindfulness City“ soll ein vorbildlich nachhaltiges Wirtschaftszentrum entstehen, das der Philosophie des „Bruttonationalglücks“ voll entspricht. Gebaut wird nach einem Masterplan des dänischen Star-Architekten Bjarke Ingels.

In freier Schwebe
#greenbuilding
In freier Schwebe

Der TUM Campus im Münchner Olympiapark zeigt, wie eine durchdachte Holzkonstruktion Ressourcen und damit auch Kosten sparen kann. Der aktuell größte Holzbau Europas wurde jetzt für den DAM Preis 2024 nominiert. 

Grünes Büro in der Gartenstadt
#greenbuilding
Grünes Büro in der Gartenstadt

Die beeindruckende Stadtplanung Singapurs wurde von Eric Parry Architects um ein Gebäude bereichert. Entstanden ist mit dem Headquarter von Wilmar International ein grünes Büro, das zum Verweilen einlädt.

Holz-Hochhaus knackt 100-Meter-Marke
#greenbuilding
Holz-Hochhaus knackt 100-Meter-Marke

Über 120 Meter hoch, zu großen Teilen aus Holz gebaut und mit einer Glasfassade, die Strom erzeugt: In Offenbach soll ein Büroturm namens Namu künftig die Skyline prägen.

Die Arche Chinas
#stadtplanung
Die Arche Chinas

Die Zhangjiang Zementfabrik gehörte früher zu den drei größten Zementfabriken Shanghais. Nun soll sie renoviert und neu genutzt werden – MAD Architects entwarfen dafür ein Projekt der Vielfalt: The Ark.

Mexikos größter Holzbau
#greenbuilding
Mexikos größter Holzbau

Das Architekturbüro Dellekamp Schleich hat in Mexiko-Stadt den bislang größten Ingenieur-Holzbau des Landes entworfen. Das Bürogebäude Jardín Anatole ist nicht nur nachhaltig gebaut, es soll auch Erdbeben gut standhalten.

This site is registered on wpml.org as a development site. Switch to a production site key to remove this banner.