Mexikos größter Holzbau
Das Architekturbüro Dellekamp Schleich hat in Mexiko-Stadt den bislang größten Ingenieur-Holzbau des Landes entworfen. Das Bürogebäude Jardín Anatole ist nicht nur nachhaltig gebaut, es soll auch Erdbeben gut standhalten.
Mexiko-Stadt zählt zu den Starkbebengebieten der Erde. Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 1985, bei dem rund eine Viertelmillion Menschen obdachlos wurde, achtete man vermehrt darauf, dass erdbebensicher und nach den geltenden Bauvorschriften gebaut wurde. Als Alternative zur gängigen Bauweise in Stahlbeton und Stein setzten die Architekten von Dellekamp Schleich bei ihrem jüngsten Projekt auf den wesentlich leichteren Baustoff Holz. El Jardín Anatole, wie das vierstöckige Holz-Hybrid-Gebäude heißt, ist bis dato der größte Ingenieur-Holzbau in Mexiko.
Die Konstruktionsmaterialien des Bürohauses sind schon an der Fassade ablesbar. Ein Exoskelett aus Eichenholz und Stahl ist das auffälligste Gestaltungsmerkmal des Gebäudes, mit dem die Architekten mit gutem Beispiel für „innovative Bauweisen“ vorangehen möchten. Bis auf den V-förmigen Stahlträger im Erdgeschoss und den Erschließungskern aus Beton bestehe das Tragwerk aus nachhaltigen Holzwerkstoffen.
Holz-Hochhaus im Rütteltest
Entgegen der landläufigen Meinung sind Holzgebäude im Erdbebenfall meist stabiler als Stein- oder Betonhäuser, da sie durch ihre Flexibilität in der Lage sind, die Kräfte zu absorbieren. Durch das geringere Gewicht sind sie auch weniger anfällig für Schäden. Um die seismische Widerstandskraft von modernen Holzbauten zu testen, unternahm man im kalifornischen San Diego 2023 einen Rütteltest an einem zehnstöckigen Mockup.
Nach der Simulation mehrerer Erdbeben von unterschiedlicher Stärke schwankte das Mockup, kam dann aber wieder zur Ruhe, ohne dass durch die Erschütterungen erkennbare Schäden entstanden waren. Das maßstabsgetreue Modell eines Holz-Hochhauses stammte vom Büro Lever Architecture, das bereits zahlreiche Holzbauprojekte umgesetzt hat, unter anderem das Vorzeigeprojekt Redfox Commons in Portland, Oregon.
Eine flexible Struktur
El Jardín Anatole, eines ihrer jüngsten Bauprojekte, sehen die Architekten von Dellekamp Schleich daher auch als eine Art Case Study für das erdbebensichere Bauen. Sie suchten nach einer Struktur, die solide und flexibel zugleich sei, um mögliche Erschütterungen absorbieren zu können. „Wir haben die gesamte Struktur, einschließlich des Fachwerks, sorgfältig geplant, damit sie ihrem Eigengewicht und möglichen Erdbeben standhält.“
Wir haben die gesamte Struktur sorgfältig geplant, damit sie ihrem Eigengewicht und möglichen Erdbeben standhält.
Dellekamp Schleich, Architekturbüro
Die verwendeten Holzwerkstoffe sind aus nordmexikanischen Eichen gefertigt. Eine Holzart, die vor allem wegen ihrer Robustheit und ihrer langen Haltbarkeit geschätzt wird. Außerdem verfügt es über eine hohe Elastizität, was für die Architekten in diesem Fall ausschlaggebend war. „Eichenholz, das wir wegen seiner hohen Biegsamkeit gewählt haben, bietet deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Baumaterialien.“
Ein Mehrwert für die Stadt
Abgesehen von seiner nachhaltigen und erdbebensicheren Bauweise erfüllt das Bürogebäude mit einer Nutzfläche von 940 Quadratmeter den Anspruch der städtischen Nachverdichtung. Es entstand im unbebauten Innenhof eines historisch wertvollen Gebäudes. „El Jardín Anatole erhebt sich aus einer Bebauungslücke in Mexiko-Stadt mit Potenzial zur Nachverdichtung“, erklären die Architekten den stadtplanerischen Hintergrund.
Eichenholz, das wir wegen seiner hohen Biegsamkeit gewählt haben, bietet deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Baumaterialien.
Dellekamp Schleich, Architekturbüro
Der Neubau ist an zwei Seiten von einem dichten Grünstreifen und Bäumen gesäumt. Ein Bereich mit Aufenthaltsqualität, der nicht nur den Nutzern des Gebäudes zugute kommt, sondern auch den Stadtbewohnern. Dazu heißt es von Dellekamp Schleich: „Da nur wenige Immobilien in diesem Stadtgebiet über unbebaute Bereiche verfügen, sollte der Entwurf die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem verschwimmen lassen und einen öffentlichen Raum mit Verbindung zur Stadt schaffen.“
Holzbau mit Vorbildwirkung
Dadurch, dass sich die Haupt-Tragstruktur an der Fassade des Gebäudes befindet, konnten die Büroräumlichkeiten offen und großzügig gestaltet werden. So wie an der Außenseite, dominieren auch im Inneren die natürlichen Holzoberflächen. Das Erdgeschoss, das gewerblich genutzt wird, verfügt über die doppelte Raumhöhe und ist an zwei Seiten vollständig verglast. Über eine große Glasschiebetür lässt sich der Raum zum parkähnlichen Garten hin öffnen.
Der Holzbau ist in Mexiko zwar kulturell verankert, allerdings wurde damit kaum über zwei Stockwerke hinaus gebaut. Im städtischen Raum hatte das Holz als Baustoff bislang keine nennenswerte Bedeutung. Mit Jardín Anatole, dem ersten mehrgeschossigen Holzbau-Projekt in Mexiko, könnte sich das künftig ändern, so hoffen die Architekten.
Text: Gertraud Gerst
Fotos: Rafael Gamo