Die Frau hinter Henning Larsen

In über 20 Jahren hat CEO Mette Kynne Frandsen das dänische Architekturbüro Henning Larsen zu dem gemacht, was es heute ist: ein Pionier, der weltweit nachhaltige Architektur von ikonischem Wert schafft. Bevor sie als CEO abdankt, hat sie uns noch ein Interview gegeben.

Das Büro liegt in Kopenhagens geschäftiger Einkaufsstraße Vesterbrogade, in den obersten drei Geschossen eines Midcentury-Baus. Dass die Zeiten des Architekten-Starkults vorbei sind, lässt sich hier schon an der Büroorganisation ablesen. Mette Kynne Frandsen, CEO von Henning Larsen, sitzt an einem Tisch im offenen Großraum, direkt vor der Brüstung des Atriums. Schickes Büro mit Chefsessel? Fehlanzeige. Nicht einmal ein fixer Schreibtisch mit Familienfotos. Alles, was sie zum Arbeiten braucht, hat sie beim Interview im Besprechungszimmer dabei: Tablet, Handy und Kaffee im Glas.

Henning Larsen HQ, Kopenhagen, Interview, Mette Kynne Frandsen
Mette Kynne Frandsen lud in die Kopenhagener Schaltzentrale des Architekturbüros Henning Larsen zum Interview. Das Büro erstreckt sich über drei Stockwerke und verfügt über ein zentrales Atrium.

Kürzlich feierte sie ihr 30-jähriges Firmenjubiläum. „Ich bin nicht sicher, ob man heute auf so etwas stolz sein kann oder nicht“, scherzt sie. Fakt ist, dass das Unternehmen unter ihrer Führung zum internationalen Aushängeschild für eine Architektur geworden ist, die regelmäßig Preise abräumt und grüne Innovationen aktiv vorantreibt. Firmengründer Henning Larsen (1925–2013), der in erster Linie für den Bau der Königlichen Oper in Kopenhagen bekannt ist, übertrug ihr noch zu Lebzeiten die Geschäftsführung und damit die Ausrichtung des Unternehmens.

Mit Anfang September wird die 63-Jährige nun leiser treten und ihrerseits die Leitung des Unternehmens abgeben. Als eine der wichtigsten Führungskräfte des Landes, und als Frau in dieser Position, ist sie ein wichtiges Role Model in einer Branche, die nach wie vor sehr männlich dominiert ist.
Mit uns sprach sie über biogene Baustoffe, den Paradigmenwechsel in der Architektur und das Glück, in einer der fortschrittlichsten Städte der Welt zu leben.


Obwohl seit geraumer Zeit mehr Frauen als Männer das Architekturstudium abschließen, sind diese seltener in Entscheidungspositionen vertreten. Sie zählen heute zu den wichtigsten Führungskräften in Dänemark, sind also das lebende Gegenbeispiel. Was waren die entscheidenden Voraussetzungen und Weichen in Ihrem Leben, die Sie dorthin gebracht haben?


Ich bin mittlerweile seit 30 Jahren bei Henning Larsen. Das ist eine ziemliche lange Zeit! Für junge Menschen ist das heute womöglich kein erstrebenswertes Ziel, 30 Jahre in derselben Firma zu arbeiten. Und ich selbst habe das auch nicht so geplant. Als ich anfing, waren wir an die 50 Mitarbeiter in Kopenhagen, und mit der Zeit übernahm ich neben Wettbewerbsentwürfen immer mehr Aufgaben als Projektmanagerin. Als ausgebildete Architektin hatte ich zwar einen fundierten fachlichen Background, aber wenig Ahnung von Management. Also schlug ich Henning Larsen vor, eine zweijährige Ausbildung zum MBA (Master of Business Administration, Anm.) zu machen, und er fand die Idee gut. Als ich fast mit dem Studium fertig war, meinte er: „Okay, Mette, da du jetzt die Ausbildung hast, kannst du auch gleich die Geschäftsführung übernehmen.“ Diese uneingeschränkte Unterstützung von ihm bedeutete mir sehr viel. Sie war die Grundlage für meine weitere Entwicklung.

mette kynne frandsen

machte 1987 ihren Abschluss an der Hochschule für Architektur der Königlich Dänischen Kunstakademie. 1993 begann sie bei Henning Larsen Architects und wechselte 1998 ins Management. Seit 2003 trug sie als CEO die oberste Verantwortung im Unternehmen und kümmerte sich um dessen strategische Ausrichtung. Während ihrer Amtszeit erhielt das Büro den prestigeträchtigen Mies van der Rohe Award für das Konzerthaus Harpa in Reykjavík. Sie ist im Vorstand einiger dänischer Organisationen vertreten, unter anderem im nationalen Handelsrat. 2019 wurde ihr von Königin Margarete II. das Ritterkreuz für ihre Verdienste in der Architektur verliehen.
Mette Kynne Frandsen, Henning Larsen, HQ, Kopenhagen, Interview, Philipp Horak

Mette Kynne Frandsen ist eine der einflussreichsten Frauen in der zeitgenössischen Architektur. 

Gab es damals Vorbilder für weibliche Führungskräfte?

Ehrlich gesagt, gab es damals, vor gut 20 Jahren, nicht sehr viele Role Models. Aber in der Art, wie Henning Larsen als Architekt, speziell im Kulturbereich, arbeitete, war er für mich ein Vorbild. Da er mit Finanzen und Personalwesen nicht viel am Hut hatte, gab es einen Platz im Unternehmen, den ich füllen konnte. Auf diesem Einverständnis haben wir eine großartige Zusammenarbeit entwickelt und konnten die anstehenden Umbauten im Unternehmen angehen. 

Welche Umbauten waren das?

Henning Larsen war zu der Zeit schon etwas älter, das heißt, zum einen stand ein Generationenwechsel an, und es ging darum, weitere Partner ins Boot zu holen. Andererseits bedurfte es einer Neuaufstellung der Unternehmenskultur, die bis dato von ihm allein geprägt war. Wie führt man ein Unternehmen, das von einer einzelnen, sehr starken Persönlichkeit gegründet wurde, in die Zukunft? Die Einsicht, dass wir, um nachhaltig erfolgreich zu sein, sowohl Frauen als auch Männer brauchen, war für mich selbstverständlich. Heute haben wir sowohl auf Mitarbeiter- als auch auf Führungsebene eine Quote von 50 zu 50. Man braucht immer die richtige Balance, aber ich finde, wir haben bei Henning Larsen ausgesprochen starke Architektinnen und weibliche Führungskräfte.

Wir haben bei Henning Larsen ausgesprochen starke Architektinnen und weibliche Führungskräfte.

Mette Kynne Frandsen, CEO von Henning Larsen

Was zählen Sie zu Ihren größten beruflichen Errungenschaften?

Henning Larsen ist heute ein internationales und breit aufgestelltes Unternehmen, das im Besitz einer Stiftung ist. Anstatt nur internationale Projekte von Kopenhagen aus zu betreuen, haben wir entsprechende Außenstellen eröffnet. Heute gibt es Zweigstellen in New York, Singapur, Berlin, München, Oslo und Sydney. Das heißt, wir sind eine globale Organisation und eine globale Community. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass die Diversität möglichst vieler Stimmen, die von außerhalb Kopenhagens kommen, für das Design enorm wichtig ist. 60 Prozent unseres Umsatzes werden heute durch Projekte außerhalb von Skandinavien erwirtschaftet. Auf diese Entwicklung bin ich wirklich stolz.

Einen weiteren strategisch wichtigen Schritt haben wir vor vier Jahren getan, als wir Teil der Ramboll Group wurden, eines global tätigen Ingenieur- und Beratungsunternehmens. Unsere gemeinsame Vision ist es, nachhaltige Städte und Gebäude zu schaffen, die den globalen Herausforderungen gerecht werden. Der Hintergrund war der, dass wir zwar international agierten, aber zu klein waren, um in all diesen Ländern auch Juristen oder Finanzexperten zu beschäftigen. Das heißt, wir machen zwar nach wie vor Architektur und Stadtplanung unter der Marke Henning Larsen, haben aber mit Ramboll ein Netzwerk, das uns in vielen Bereichen unterstützt. Dabei kommt uns auch das gemeinnützige Stiftungsmodell zugute, bei dem Profit wieder ins Unternehmen rückinvestiert wird. Unsere Abteilung für Innovation und Nachhaltigkeit wurde in dieser Zeit auf das Fünffache aufgestockt, was allen Projekten in vielerlei Hinsicht zugutekommt. Das hat uns einen kräftigen Innovationsschub gebracht.

World of Volvo, Henning Larsen, Montage, Holzbau
World of Volvo, das neue Besucherzentrum des Autoherstellers Volvo in Göteborg, ist ein Holzbau der Superlative.

Welche Entwicklungen sehen Sie in den nächsten zehn Jahren auf Henning Larsen und die Architektur im Allgemeinen zukommen?

Ein Ziel ist es, dass Henning Larsen als globale Community wächst und ein noch stärkerer Partner in Sachen Nachhaltigkeit wird, der Kunden Inspiration und Wissen vermittelt – unabhängig davon, wo auf der Welt wir gerade arbeiten. Abgesehen davon befinden wir uns derzeit aufgrund der drängenden Klimawende in einer Umbruchphase. Das heißt, in zehn Jahren werden die Entwürfe anders aussehen, die Veränderung dahin zeichnet sich schon heute ab. Wir bewegen uns weg von einem Unternehmen, das bislang hauptsächlich am Neubau interessiert war, hin zu einem, das in Zukunft vermehrt mit dem arbeiten wird, was vorhanden ist. Das stimuliert die Kreativität ungemein.

Woran lässt sich diese Umbruchphase in der Architektur festmachen?

Wir stehen gerade am Anfang einer Transformation der Bausysteme, und die Verwendung biogener Bau- und Dämmstoffe ist im Moment am Durchstarten. Eine weitere Veränderung ist die enge Zusammenarbeit zwischen Architekten und Landschaftsarchitekten. Das wirkt sich nicht nur auf die Art aus, wie wir Gebäude entwerfen, sondern auch auf die gesamte Stadtplanung. In meiner Position bemerke ich, dass es vonseiten der Politiker und der Kunden ein wachsendes Bewusstsein dafür gibt, wie wichtig diese Zusammenarbeit für unser aller Leben ist.

Mette Kynne Frandsen, Henning Larsen, HQ, Kopenhagen, Interview, Philipp Horak
Nach mehr als zwei Jahrzehnten als Managing Director übergibt Frandsen die Leitung des Unternehmens an ihren Kollegen Jacob Kurek.

Wir bewegen uns weg von einem Unternehmen, das bislang hauptsächlich am Neubau interessiert war, hin zu einem, das in Zukunft vermehrt mit dem arbeiten wird, was vorhanden ist.

Mette Kynne Frandsen, CEO von Henning Larsen

Viele europäische Städte wurden von Männern geplant, was sich in der Infrastruktur, im Verkehr und in der Architektur widerspiegelt. Frauen, die auch heute noch den Großteil der Sorgearbeit leisten, haben meist einen anderen Alltag als Männer und sind in diesen Planungen lange nicht berücksichtigt worden. Wie geht Ihr Büro bei aktuellen Stadtentwicklungsprojekten vor? 

Als Architekten ist es uns wichtig, Stadtplanung zu machen, die alle inkludiert. Wir haben ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Urban Minded“, das untersucht, wie die Gestaltung städtischer Räume zur psychischen Gesundheit und zum Wohlbefinden von Mädchen im Teenageralter beitragen kann. Dazu haben wir sehr viele Interviews mit jungen Frauen geführt und sie gefragt: Wo haltet ihr euch nachts in der Stadt auf? Auf welche Weise nutzt ihr eure Stadt? Aus diesem Projekt haben wir sehr viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die uns dabei helfen können eine Zukunft anzupeilen, in der das Wohlergehen und die Selbstbestimmung junger Frauen in unserem Städtebau Vorrang haben.

World of Volvo, Henning Larsen, Holzbau, Wiehag
Die Bauteile für das Erlebniszentrum World of Volvo wurden von der oberösterreichischen Firma WIEHAG vorgefertigt.

Kopenhagen zählt heute zu den Musterstädten in Sachen Stadtentwicklung. Dabei hat sich sogar der Begriff „Kopenhagenisierung“ etabliert.

Ich denke, wir haben in Dänemark sehr gute Lösungen und eine Menge Wissen, was gute Stadtplanung angeht. In Kopenhagen waren es vor allem auch die Politiker, die das Konzept der lebenswerten Stadt vorangetrieben haben. Damit können wir andere inspirieren und unsere erprobten Lösungen in Projekten außerhalb von Dänemark einbringen. Viele Städte sind heute dabei, ihr Mobilitätskonzept zu überarbeiten. Das ist natürlich ein enormes Investment, aber ich denke, dass wir in zehn Jahren einen großen Wandel in den Städten sehen werden.

Ich reise oft zu unseren internationalen Büros und kann den Unterschied in den Städten mit eigenen Augen sehen. Letzte Woche war ich in New York, um unser Team dort zu besuchen, und ich habe meine beiden Töchter angerufen und gesagt: „Wisst ihr eigentlich, wie viel Glück ihr als junge Mütter in Dänemark habt? Ihr könnt eure Kinder in den Kindergarten bringen und dann bequem in die Arbeit radeln.“ Durch Unterschiede in der Stadtplanung kann das Leben für Frauen in den USA sehr herausfordernd sein, da ist die Architekturbranche keine Ausnahme. Natürlich können wir das System dort nicht umkrempeln, aber ich versuche die Architektinnen in unserem New Yorker Büro, so gut es geht, zu unterstützen. 

Heute hört man oft den Begriff der „Stadt der kurzen Wege“, ein Konzept, das feministische Stadtplanerinnen bereits in den 1970ern forderten. Können Sie ein Beispiel für ein Stadtentwicklungsprojekt nennen, wo dies umgesetzt wurde?

Unser Masterplan für Downsview in Toronto beispielsweise ist ein Riesenprojekt, das in den nächsten 50 Jahren umgesetzt wird. Anstatt Städte zu planen mit einem Businessviertel und einer Wohngegend, brechen wir das Gebiet runter in lokale Communities und Nachbarschaften. Während es bei einem Masterplan vor zehn Jahren in erster Linie um Strukturen und Mega-Cities ging, stehen heute die Gemeinschaft und die Menschen im Mittelpunkt. Bei diesem Projekt gab es im Vorfeld einen groß angelegten partizipativen Prozess, bei dem die Menschen sich direkt einbringen konnten.

Downsview Toronto, Henning Larsen, Masterplan, Stadtplanung
Der Masterplan für das neue Stadtgebiet Downsview in Toronto entspricht dem Prinzip der Stadt der kurzen Wege.

All diese Inputs spiegeln sich im Masterplan wider. Die Infrastruktur ist so ausgerichtet, dass man sich innerhalb der Nachbarschaften möglichst sicher und bequem bewegen kann. Auch die Art, wie wir heute arbeiten, nämlich vermehrt im Homeoffice, ist in die Stadtplanung miteingeflossen.

Auf welches Projekt ist man bei Henning Larsen besonders stolz?

Hier hat sich im Laufe der Zeit eine große Veränderung breitgemacht. Vor zehn Jahren waren es die ikonischen Bauten, wie das Opernhaus, auf die wir besonders stolz waren. Aber wenn man heute durchs Büro geht und danach fragt, dann sind es die kleinen, innovativen Projekte, die besonders stolz machen. So zum Beispiel die Feldballe-Schule, die aus einer Kooperation zwischen Realdania, einem philanthropischen Verein, und einem Start-up hervorgegangen ist, das ein Fassadenbausystem aus Holz und Stroh auf den Markt bringen wollte. Wir haben dieses Projekt umgesetzt und konnten das biobasierte Bausystem in der Folge skalieren. Das größte Logistikzentrum Europas in den Niederlanden wird nun auf die gleiche Weise gebaut wie die kleine Schule in Dänemark. 

Vor zehn Jahren waren wir stolz auf die ikonischen Bauten, wie das Opernhaus. Heute sind es die kleinen, innovativen Projekte, die besonders stolz machen.

Mette Kynne Frandsen, CEO von Henning Larsen

Auch an diesem Projekt ist abzulesen, welcher Paradigmenwechsel bereits stattgefunden hat. Vor fünf oder zehn Jahren hätten wir ungläubig gefragt: „Machen wir jetzt etwa Logistikzentren? Niemals!“ Aber heute sehen wir, dass hier ein großer Einflussbereich liegt, in dem wir Innovationen vorantreiben und Dinge zum Positiven verändern können.

Changing Our Footprint, DAC, exhibition, Henning Larsen
Ein Modell des nachhaltigen Bausystems, das für ein Schulprojekt entwickelt und für Europas größtes Logistikzentrum skaliert wurde.
Changing Our Footprint, DAC, exhibition, Henning Larsen
Bei den biobasierten Materialien gebe es jede Menge guter Innovationen und ein großes Interesse von Investoren, so Frandsen.

Im Dänischen Architekturzentrum lief kürzlich die Ausstellung „Changing Our Footprint“, wo man ein Modell dieser Holz-Stroh-Bauweise sehen und auch anfassen konnte. Wie wichtig ist in Ihrem Unternehmen der Open-Source-Gedanke?

Da wir alle dasselbe Ziel haben, nämlich die Zukunft unseres Planeten positiv zu beeinflussen, ist das Teilen von Know-how enorm wichtig. Man kann sich gegenseitig inspirieren und voneinander lernen. Manche unserer größten Konkurrenten sind in gewissen Bereichen unsere besten Partner. Das ist eine Entwicklung, die ich besonders schätze. Ich bekomme viele Anrufe von Kollegen, die fragen: „Wie habt ihr das gemacht? Was waren eure Erfahrungen?“ Ich teile das sehr gerne. Die Welt ist so groß, und je mehr wir voneinander lernen, umso besser.

Aber das Klima diesbezüglich hat sich geändert, vor zehn oder zwanzig Jahren wurde das noch nicht so gelebt.

Vielleicht hat das auch ein wenig damit zu tun, dass ich als Frau in dieser Führungsposition bin. Natürlich brauchen wir den Wettbewerb, das ist ein wichtiger Ansporn, aber es gibt daneben auch andere Werte, die wichtig sind. Ich wünsche mir, dass diese Offenheit bei Henning Larsen auch in Zukunft so gelebt wird.

Da wir alle dasselbe Ziel haben, nämlich die Zukunft unseres Planeten positiv zu beeinflussen, ist das Teilen von Know-how enorm wichtig.

Mette Kynne Frandsen, CEO von Henning Larsen

Laut einem UNO-Bericht liegt der Bau- und Gebäudesektor beim Treibhausgasausstoß auf Rekordniveau, er verursacht knapp 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Welche Verantwortung kommt Architektinnen und Architekten in der heutigen Zeit zu?

Das Verantwortungsbewusstsein in der Branche hat sich enorm verändert. Vor allem in der neuen Generation junger Architekten, die sehr idealistisch ist und vieles in Frage stellt – unter anderem, ob wir überhaupt noch neu bauen sollen. Für die junge Generation ist es wichtig, dass sie mit der Architektur die Zukunft der Welt positiv gestalten können.

Bestseller, Logistikzentrum, Henning Larsen, Holzbau
Nach den Plänen von Henning Larsen entsteht in der niederländischen Stadt Lelystad Europas größtes Logistikzentrum in einer Bauweise aus Holz und Stroh.

Die Wirtschaft muss sich vom Take-Make-Waste-Prinzip lösen und künftig regenerativ agieren. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und Prozesse in unserer komplexen, verzahnten Welt zu ändern erfordert Zeit, die wir nicht haben. Wie ließen sich die nötigen Veränderungen beschleunigen?

Mit guten Beispielen, und davon gibt es sehr viele. Wir sollten unsere Kommunikation dahingehend verstärken. Gleichzeitig sehen wir bei unseren Kunden, dass ihr Interesse an nachhaltigen Lösungen steigt, weil sie ihr Verhalten in Sachen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit offenlegen müssen. In manchen Projektausschreibungen, die wir heute bekommen, gehört es zu den Anforderungen, so viel vom Bestand wie möglich zu erhalten und zu adaptieren. Das ist nicht nur ein Weg, um graue Energie einzusparen, der Erhalt von historischer Bausubstanz ist zudem identitätsstiftend. 

Bei Projekten sollten heute nicht allein die Baukosten entscheidend sein, sondern auch eine weitere Berechnung, nämlich die des CO2-Fußabdrucks, die wir für jedes Projekt machen. Dann kann man sowohl die Kosten als auch die Emissionen der unterschiedlichen Ausführungen – vom Neubau bis zum zirkulären Projekt – miteinander vergleichen. 

Mette Kynne Frandsen, CEO Henning Larsen, Interview
Unter Frandsens Führung wurde das Büro Henning Larsen mit dem Mies van der Rohe Award ausgezeichnet.

Im Hinblick auf die Klimakrise rücken die Baumaterialien und -methoden der Vergangenheit wieder in den Fokus, Stichwort Holz, Stroh und Lehm. Müssen wir uns von unserer Technologiegläubigkeit verabschieden? Ist Lowtech das neue Hightech?

Ich denke, es ist eine Kombination aus beidem. Um die statischen Auflagen zu erfüllen, haben wir früher jede Menge Beton vergossen, mithilfe von parametrischem Design können wir den Anteil heute optimieren. Im Moment sehen wir, dass durch den Boom von recycelten Ziegeln die Preise explodiert sind, weil es nicht genug davon gibt. Bei den biobasierten Materialien gibt es jede Menge guter Innovationen und ein großes Interesse von Investoren, die das Potenzial darin erkennen. Ich denke, es geht in Zukunft darum, eine gute Balance bei den Baustoffen zu finden. 

KAB Headquarter, Wohnbaugesellschaft, Henning Larsen
Mit dem neuen Hauptquartier von Kopenhagens größter Wohnbaugesellschaft KAB hat Henning Larsen die Gemütlichkeit des Holzes in die neue Arbeitswelt gebracht.

Bislang schien es oft eine unsichtbare Trennlinie zu geben, Gebäude waren entweder nachhaltig oder ikonisch. Henning Larsen schafft es immer wieder, beides zu vereinen. Wie kommt das zustande? 

Zum einen tun sich mit dem Holzbau plötzlich ganz neue Möglichkeiten und Freiheiten im Design auf, und diese auszuloten war für die Architekten enorm inspirierend. Zum anderen braucht es für diese Formen die neuesten digitalen Werkzeuge. Ohne die hätte es Projekte wie World of Volvo niemals gegeben. Der große Erfolg dieses Projekts ist auch der guten Zusammenarbeit zwischen unseren Designern, Digitalexperten und den Holzbauingenieuren und Produzenten zu verdanken.

Mit dem Holzbau tun sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten und Freiheiten im Design auf, und diese auszuloten war für die Architekten enorm inspirierend.

Mette Kynne Frandsen, CEO von Henning Larsen

Ich war zufällig zu Besuch im Werk der österreichischen Firma WIEHAG, als dort gerade die riesengroßen geschwungenen Leimbinder für World of Volvo produziert wurden. Das war wirklich beeindruckend.

Zu meiner Zeit war der Baustellenbesuch ein wichtiger Teil der Architekturausbildung. Wie wird ein Gebäude tatsächlich gebaut? Was macht ein Zimmerer? Wir hatten sehr viel praktisches Know-how. Mit der Entwicklung des digitalen Designs ist dieses Wissen etwas abhandengekommen. Die neuen Baustoffe allerdings haben das Interesse der Architekten an den Produktionsprozessen wieder geweckt. Ich denke, es ist sehr gesund, diese Verbindung zu haben.

Mette Kynne Frandsen, Henning Larsen, CEO, Fahrrad

Fahrrad-Hauptstadt Kopenhagen: Nach dem Interview schwingt sich Frandsen auf ihr silbernes Sportrad und fährt zu ihrem nächsten Termin.

Ebenso wie beim Aufkommen der Design-Maxime „Form folgt Funktion“ am Ende des 19. Jahrhunderts befinden wir uns heute wieder in einer Art Aufbruchszeit. Was könnte heute der Leitsatz sein?

Ich denke, es ist immer gut, wenn die Form der Funktion folgt. Daran würde ich nicht rütteln. Aber die Art, wie wir Flächen verteilen und Funktionen belegen, ist etwas, das wir uns in Zukunft verstärkt ansehen müssen. Wie viel Quadratmeter kann jeder Einzelne für sich beanspruchen? Wie können wir dafür sorgen, dass jene Flächen, die wir nicht täglich brauchen, gemeinschaftlich genutzt werden? Das sind Fragen, die bei jeder Stadtentwicklung relevant sind. Man braucht zum Beispiel kein Gästezimmer, wenn es direkt in der Nähe ein gemeinschaftliches Gästehaus gibt. Derzeit entstehen gerade viele neue Wohnmodelle, die auf Co-Housing basieren. Ich denke, diesen hohen Quadratmeterverbrauch, den wir heute haben, müssen wir in Zukunft optimieren.

Würden Sie aus heutiger Sicht wieder Architektur studieren?

Manchmal habe ich mir das schon überlegt. Ja, ich würde wieder Architektur studieren. Ich denke, Architektur war noch nie wichtiger und spannender als heute. 

Interview: Gertraud Gerst
Fotos: Philipp Horak, Laurą Stamer, Rasmus Hjortshoj 
Visualisierungen: Henning Larsen

Ein Hochhaus im Dorf

Ein eigenwilliger Holzbau in Oberösterreich räumt einen Architekturpreis nach dem anderen ab. Das Hohe Schwarze von Schneider Lengauer Pühringer Architekten zeigt, dass der umstrittene Wohntyp Einfamilienhaus nach wie vor seine Berechtigung hat.

Mit dem steigenden Bewusstsein für die endliche Ressource Boden und die Problematik, die mit der Zersiedelung des ländlichen Raums einhergeht, gilt das Einfamilienhaus heute als Auslaufmodell. Oft als Flächenfresser, Landschaftszerstörer und Forcierer des motorisierten Individualverkehrs bezeichnet, steht es in einem deutlichen Widerspruch zu einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung. An der Beliebtheit dieser Wohnform hat das allerdings bislang wenig geändert. In Österreich leben rund 41 Prozent der Bevölkerung in einem Einfamilienhaus (Stand 2019), und pro Stunde kommen 2,2 neue Ein- und Zweifamilienhäuser hinzu (Stand 2022). Und das, obwohl so viele der bereits gebauten Häuser leer stehen, dass man auf das Neubauen heute ganz und gar verzichten könnte. 

Das Hohe Schwarze, Schneider Lengauer Pühringer Architekten, Hagenberg, Mühlviertel, Holzbau, Einfamlienhaus
Auf kleinem Fuß und mit bürotauglicher Strenge kommt Das Hohe Schwarze daher.

Dass diese höchst umstrittene Wohnform aber noch lange nicht totgesagt werden muss, zeigt ein ambitioniertes Projekt in Hagenberg im Mühlkreis, Oberösterreich. Das Hohe Schwarze, wie das Büro Schneider Lengauer Pühringer Architekten das Haus nennt, hat bereits mehrere hochkarätige Architekturpreise eingeheimst, darunter den Best Architects und den German Design Award 2024. Und das aus gutem Grund. Denn auf all das, was man dem Wohntyp Einfamilienhaus klimapolitisch anlasten kann, liefert das Mühlviertler Vorzeigeprojekt eine überzeugende Antwort. 

Auf kleinem Fuß

Auf einer Grundfläche von 14 mal sechs Quadratmetern wächst das Haus 14,5 Meter in die Höhe und schafft auf vier Stockwerken eine Wohnnutzfläche von insgesamt 180 Quadratmetern. Während sich in den unteren Geschossen die Schlaf- und Sanitärräume befinden, bildet das oberste Geschoss den familiären Treffpunkt. Hier, direkt unter dem Giebel, wird gekocht, gegessen und von der überdachten Terrasse in die Mühlviertler Landschaft geblickt.

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Küche, Essbereich und Terrasse befinden sich im obersten Stockwerk und liefern das Mühlviertler Panorama frei Haus.

Hier an diesem Standort, unter diesen Rahmenbedingungen und in dieser nachhaltigen, nutzungsoffenen Bauweise hat das Einfamilienhaus seine Berechtigung.

Andreas Pühringer, Architekt und Bauherr

Die umliegenden Häuser im Ortsteil Anitzberg überragt Das Hohe Schwarze nämlich um mindestens fünf Meter und kann damit als dörfliches Hochhaus bezeichnet werden. Dass es sich trotzdem harmonisch in die Umgebung einfügt, liegt am dunklen Baukörper, der einer Fassade aus schwarz gefärbten Tannenbrettern geschuldet ist. „Durch eine geringe Gebäudegrundfläche und die geschickte Platzierung des Neubaus entsteht im Westen ein neuer Vorplatz und im Osten eine Gartenfläche“, beschreibt das Architekturbüro den Vorteil der vertikalen Verdichtung.

Im familiären Ensemble

Das hohe Einfamilienhaus wurde von Architekt Andreas Pühringer geplant, der es seit 2022 mit seiner Familie bewohnt. Das Grundstück, das an die väterliche Tischlerei angrenzt, hat er geerbt. Zusammen mit den Betriebsgebäuden und dem Eltern- und Großeltern-Wohnhaus nebenan bildet der Neubau nun ein familiäres Ensemble, das die Betriebszufahrt zum gemeinsamen Hof erklärt. So wurde aus einem reinen Erschließungsweg ein belebter Ort, auf dem jeden Tag vier Generationen zusammenkommen.

Damit das Haus in Zukunft bei Bedarf auch anders genutzt werden kann, verfügt das Hohe Schwarze über ein flexibles Raumkonzept und eine barrierefreie Erschließung. Auf diese Weise ließe sich das Gebäude zu einem späteren Zeitpunkt auch in ein Bürohaus oder in ein Studentenheim umfunktionieren.

„Das Einfamilienhaus als solches wird mittlerweile ja mit guten Argumenten totgesagt. Hier an diesem Standort, unter diesen Rahmenbedingungen und in dieser nachhaltigen, nutzungsoffenen Bauweise hat es hingegen seine Berechtigung“, wie Bauherr Pühringer anlässlich der Verleihung des Best Architects Awards erklärte.

Zu 90 Prozent aus Holz

Der kompakte Baukörper, der auf den ersten Blick wie ein Bürohaus anmutet und ganz ohne auskragende Elemente auskommt, ist in konstruktiver Holzbauweise gefertigt.

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Außen dunkel, innen hell: Die dunkle Außenfassade steht im Kontrast zum hellen Holz in den Innenräumen.
Umgebung, Das Hohe Schwarze, Schneider Lengauer Pühringer Architekten, Hagenberg, Mühlviertel, Holzbau, Einfamlienhaus
In das Orts- und Landschaftsbild fügt sich das Haus trotz seiner Höhe harmonisch ein.

Vorfertigung, statische Berechnung und Werkplanung kamen vom Brettsperrholzproduzenten Binderholz mit Hauptsitz in Tirol. Neben dem Vorteil langfristig CO2 zu binden, den der nachwachsende Baustoff Holz mit sich bringt, können durch diese Bauweise auch beim Innenausbau Ressourcen geschont werden. So bilden die in Sichtqualität gefertigten Wände, Decken und Treppen zugleich die fertigen Oberflächen in den Innenräumen.

Durch eine geringe Gebäudegrundfläche und die geschickte Platzierung des Neubaus entsteht im Westen ein neuer Vorplatz und im Osten eine Gartenfläche.

SLP Architekten

Dass auch der Rest der Einrichtung wie aus einem Guss zu sein scheint, liegt an der elterlichen Tischlerei nebenan, die den gesamten Innenausbau inklusive Küche, Möbel, Fenster und Türen übernahm. Auf diese Weise ist ein Wohnhaus entstanden, das zu 90 Prozent aus Holz besteht. In der Konstruktion sind insgesamt 128 Kubikmeter Fichtenbrettsperrholz verbaut.

Das Hohe Schwarze, Schneider Lengauer Pühringer Architekten, Hagenberg, Mühlviertel, Holzbau, Einfamlienhaus

Im Innenraum schaffen das helle Holz, die grauen Terrazzoböden und die großformatigen Fenster ein lichtdurchflutetes und behagliches Wohnambiente. Dass das Hohe Schwarze auf sehr kleinem Fuß steht und für den Neubau keine zusätzliche Grünfläche versiegelt werden musste, könnte als Vorbild für die ländliche Raumplanung dienen und der grassierenden Versiegelungswut etwas entgegensetzen.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Kurt Hörbst, SLP Architekten

Gar nicht auf dem Holzweg

Das australische Architekturstudio Hassell hat mit seiner Nachverdichtung in Holz einen wertvollen Beitrag für die Macquarie University geleistet – architektonisch, praktisch und thematisch. Entstanden ist eine juristische Fakultät mit Innovation und Geschichte.

Wallumettagal – ein Name, voll mit Historie, mit Tradition, mit Kultur. Die australischen Wallumettagal waren ein Stamm der australischen Ureinwohner aus dem Gebiet des heutigen Sydney – mit knapp fünf Millionen Einwohnern die größte Stadt Australiens. 

Gang zu den Seminarräumen
Das Holz als Hauptelement verleiht dem Universitätsgebäude eine ruhige Atmosphäre.

Kulturelles Erbe

Im Norden der Metropole befindet sich die Macquarie University, die mit ihrem Hauptcampus Bezug auf das kulturelle Erbe der australischen Ureinwohner nimmt und 2022 in Wallumattagal Campus umbenannt wurde. Vor wenigen Jahren schuf man mit dem Macquarie University Incubator einen preisgekrönten Holzbau, der als Pilotprojekt zeigt, wie sich Energie und Ressourcen auf allen Ebenen einsparen lassen. Als nun am selben Standort das Michael Kirby Building offiziell eröffnet wurde, hatte man im modernen Holzbau also schon wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Der Entwurf für das neue Unigebäude stammt vom Architekturbüro Hassell, das 1938 in Australien gegründet wurde und heute weitere Standorte in China, Singapur, den USA und Großbritannien betreibt. Auf 8.600 Quadratmetern Nutzfläche befinden sich hier, wo einst ein Verwaltungsgebäude mit lediglich zwei Stockwerken stand, nun die juristische Fakultät und der Fachbereich Philosophie. Die Nachverdichtung erfolgte in klimafreundlicher Holzbauweise und setzte auf den Betonbau zwei weitere Geschosse auf.

skulpturale Wendeltreppe
Die skulpturale Wendeltreppe als Hingucker im Atrium des Michael Kirby Building.

Holz als Favorit

Die neuen Seminar- und Lehrräume sind um das Bestandsgebäude herum angeordnet. Der ehemalige Hof des einstigen Verwaltungsbaus wurde in ein lichtdurchflutetes Atrium verwandelt, das jetzt den zentralen Kern der juristischen Fakultät bildet. Im Fokus des großzügigen Raumgefüges steht die skulpturale Wendeltreppe, die die beiden obersten Stockwerke erschließt. Im gesamten Gebäude ist Holz jenes bestimmende Element, das der Fakultät eine ruhige und offene Atmosphäre verleiht. 

Wie aufeinander gestapelte Holzkästen ragen verglaste Besprechungsräume ins Atrium hinein und betonen dabei die Skelettbauweise des Tragwerks. Die Konstruktion fungiert als Platzhalter der einzelnen Raumelemente und schafft eine Art Setzkasten in Lebensgröße, der bis unter die Decke reicht. Die verglaste Atriumdecke sorgt für einen natürlichen Lichteintrag ins Gebäude und öffnet den Blick nach oben. „Dieser freie Blick in den Himmel war ein wesentliches Gestaltungselement, er verbindet die Innenräume mit dem Bäumkronen draußen. Und er trägt zum Gefühl von Offenheit, Wärme und Zusammengehörigkeit am Campus bei“, so Kevin Lloyd, Chef-Designer des Sydney-Büros von Hassell und Hauptverantwortlicher des Projekts Michael Kirby Building.

Universitäts Fassade
Die Metallrippen setzen einen Kontrast zur Glasfassade der juridischen Fakultät.

Innovation durch Natürlichkeit

Holz und Glas ergänzen sich im Gebäude perfekt. Während Holz atmosphärische Wärme und Sicherheit vermittelt, sorgt Glas für Transparenz im Inneren und schafft eine Verbindung zum Außenraum. „Das Gefühl von räumlicher Offenheit spiegelt auch die transparenten, demokratischen und nicht-hierarchischen Werte der juristischen Fakultät wider“, so Lloyd.

Als Kontrast dazu entschied sich Hassell für breite Metallrippen an der Fassade, die das Gebäude vor der Sonne schützen. Auf dem Dach des Uni-Baus wurden Photovoltaikmodule installiert, die den Stromhaushalt für den Gebäudebetrieb unterstützen. 

Der freie Blick in den Himmel war ein wesentliches Gestaltungselement, er trägt zu einem Gefühl von Offenheit, Wärme und Zusammengehörigkeit am Campus bei.

Kevin Lloyd, Chef-Designer bei Hassell und Hauptverantwortlicher des Projekts Michael Kirby Building.

Dem Namensgeber gerecht

Eine regelrechter Hingucker im Michael Kirby Building ist der kreisrunde Lehr-Gerichtssaal. Er ragt aus dem Gebäude heraus und scheint regelrecht über dem Eingang zu schweben. Dabei ist nicht nur die architektonische Beschaffenheit etwas Besonderes. Denn hier finden alle Platz: Kläger, Beklagte, Richter, Anwälte und Zuhörer – wie in einem echten Gerichtsaal. Etwas, das es dieser Form in kaum einer anderen Universität gibt.

Lehr-Gerichtssaal
Der universitätseigene Übungs-Gerichtssaal – eine Besonderheiten der Fakultät.

Die juristische Fakultät auf dem Wallumattagal Campus gilt als eines der größten Holzgebäude in Australien, Fünf-Sterne-Bewertung des Green Building Council of Australia inklusive. Man darf annehmen, dass auch der Namensgeber mit „seinem“ Gebäude zufrieden ist. Michael Kirby, Jahrgang 1939, prägte nicht nur als Höchstrichter das australische Rechtssystem; als Vorsitzender einer Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen zeichnete er für die offizielle Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea mitverantwortlich.

Text: Eva Schroeder, Michi Reichelt
Bilder: Hassell

In Albert Einsteins Fußstapfen

Das Europäische Forschungszentrum für Kern- und Teilchenphysik erforscht den Aufbau der Materie. Eine Erkenntnis ist gesichert: Das neue Forschungszentrum CERN B777 von Henning Larsen wird rund sein und großteils aus Holz bestehen.

Am 30. Juni 1905 veröffentlichte Albert Einstein seine Theorie der Speziellen Relativitätstheorie. Sie erklärt den Zusammenhang zwischen Zeit und Raum in der berühmten Gleichung E = mc². Seither konnten am Centre Européen pour la Récherche Nucleaire (CERN) zahlreiche Aspekte seiner Theorie in Experimenten bestätigt werden. Aber nicht nur der Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) verschaffte dem Forschungszentrum in der Nähe von Genf internationale Bekanntheit, sondern auch die Tatsache, dass ein britischer Wissenschaftler hier das World Wide Web erfand. 

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Die parametrisch designte Fassade hindert die Mittagssonne daran, das Gebäude im Sommer zu sehr aufzuheizen.

Nun bekommt der Campus CERN Prévessin auf der französischen Seite der Grenze ein neues Gebäude, das den Namen B777 trägt und in mehrfacher Hinsicht hervorsticht. Die Architekten des dänischen Architekturbüros Henning Larsen haben einen markanten ringförmigen Bau entworfen, der auf ganzer Linie emissionsarm und klimafreundlich gedacht ist. Das fängt beim erneuerbaren Baustoff Holz an und hört bei der parametrisch designten Fassade auf, die direkte Sonneneinstrahlung in der Mittagszeit minimiert und somit Energie einspart.

Ein naturnaher Anziehungspunkt

Das Forschungszentrum CERN, das sich teils auf schweizerischem, teils auf französischem Boden befindet, ist seit seiner Gründung im Jahr 1952 das europäische Epizentrum wissenschaftlicher Innovation. Ähnlich wie Danones neues Forschungszentrum In’Cube südwestlich von Paris, hat B777 mit der hochgeschlossenen Unnahbarkeit herkömmlicher Industrie- und Forschungsbauten wenig gemein. Vielmehr soll es ein Neubau werden, der die Mission von CERN widerspiegelt, nämlich: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der gemeinsamen Suche nach Erkenntnis zu vereinen. 

Unsere Vision ist es, einen dynamischen Arbeitsplatz inmitten der Natur zu schaffen – einen Ort, an dem Wohlbefinden, Teamwork und Wissen gedeihen. 

Søren Øllgaard, Europäischer Design Director von Henning Larsen
CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Das großzügige Atrium dient als repräsentativer Empfangsraum und zugleich als Umschlagplatz für Gedanken und Ideen.

Seine offene Ringform trägt dem ebenso Rechnung wie der offensichtliche Auftrag, einen schönen, naturnahen Ort zu schaffen, an dem die Forschenden gerne zusammenkommen. Søren Øllgaard, Europäischer Design Director von Henning Larsen, sagt über den Entwurf: „Unsere Vision ist es, einen dynamischen Arbeitsplatz inmitten der Natur zu schaffen – einen Ort, an dem Wohlbefinden, Teamwork und Wissen gedeihen. Es ist mehr als nur ein gewöhnlicher Arbeitsplatz. Der kreisförmige Entwurf dient als symbolischer Marker und schafft ein kulturelles Zentrum für den gesamten Campus.“

Wohlfühlarchitektur als neues Mantra

Insgesamt liefert das neue Forschungsgebäude 13.000 Quadratmeter an Büro-, Labor- und Werkstatträumen, die allesamt von natürlichen Holzoberflächen und einem hohen Lichteintrag geprägt sind. Statt fensterloser Korridore, wie sie früher in Forschungsstätten nicht unüblich waren, dominiert eine räumliche Offenheit und Transparenz. Bei der weichen Haptik des Holzes schaltet der innere Modus automatisch auf Behaglichkeit. In Zeiten des War for talents wird die Wohlfühlarchitektur zum neuen Mantra erhoben.

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Der Innenhof bildet einen klimatisch geschützten Bereich mit hoher Aufenthaltsqualität.

Schon beim Eintritt in das Gebäude öffnet sich ein lichtdurchflutetes Atrium, das über alle vier Stockwerke reicht und die Erschließung auf einen Blick offenlegt. Holztreppen verbinden die einzelnen Geschosse miteinander, Brücken schweben hoch über dem Erdgeschoss und schaffen kurze Verbindungswege und spannende Blickbezüge. Trotz der schieren Größe dieses Atriums versprüht es durch den rustikalen Steinboden und den warmen Holzton eine dezidierte Gemütlichkeit. „Dieser innovative Raum soll den Mitarbeitern wie ein zweites Zuhause sein“, erklärt das Büro Henning Larsen das Ziel des Designs.

Dieser innovative Raum soll den Mitarbeitern wie ein zweites Zuhause sein.

Henning Larsen, Architekturbüro

Warum Hospitality-Bereiche beim Programming neuer Bürogebäude immer wichtiger werden, hat einen einfachen Grund. Sie holen die Menschen aus ihren Bürozellen und bieten in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung eine Umgebung, in der ungeplante, informelle Interaktionen stattfinden können. Diese zwischenmenschlichen Zufallsmomente, so weiß man heute, sind mindestens genauso wichtig für den Erfolg von Projekten wie das konzentrierte Arbeiten im stillen Kämmerlein. Ein Ansatz, der auch unter dem Begriff Seredipitätsprinzip bekannt ist.

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Auch auf der Dachterrasse des Ringbaus dominiert die biophile Architektur.

Arbeiten im Grünen

Der begrünte Innenhof des B777 ist offen und durchlässig gestaltet, sodass er das ganze Jahr über einen geschützten Raum mit angenehmen Temperaturen bietet. Inspiration dafür fanden die Architektinnen und Architekten von Henning Larsen in der direkten Umgebung: „In Anlehnung an die geschützten Plätze im Herzen der umliegenden Alpendörfer schafft der Innenhof des Gebäudes ein optimiertes Mikroklima, das an die lokalen Gegebenheiten angepasst ist.“

Der Hof bildet durch die zwei offenen Seiten eine grüne Schneise, die an den kleinen Wald auf der einen und den Park auf der anderen Seite des Gebäudes anknüpft und die Biodiversität fördert. Durch die geschosshohen Verglasungen wird auf allen Seiten die Verbindung zwischen dem Innen- und dem Außenraum hergestellt. Informelle Meetingbereiche im Freien verlängern die Büroflächen nach außen und ermöglichen bei entsprechender Witterung auch ein Arbeiten im Grünen. 

CERN B777, Henning Larsen, CERN Prévessin, Centre Européen pour la Récherche Nucleaire
Der Hof bildet eine grüne Schneise, die an den Wald auf der einen und den Park auf der anderen Seite anknüpft und die Biodiversität fördert.

Natur als Stress-Killer

Biophile Architektur ist das neue Schlagwort, wenn es darum geht, die Kreativität der Mitarbeitenden zu stimulieren und seelisches Wohlbefinden zu fördern. Erst kürzlich konnte ein Team um die Ökologin MaryCarol Hunter der Universität Michigan beweisen, dass nur 20 Minuten im Grünen das Stresshormonlevel signifikant senken können. Der stete Blick ins Grüne vom Bürosessel aus kann im besten Fall also auch die Gesundheit verbessern.

Und dass das Reich der Natur für den Erkenntnisgewinn enorm wichtig ist, das wusste bereits Albert Einstein, als er sagte: „Schau tief in die Natur, und dann wirst du alles besser verstehen.“

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: Vivid-Vision

Ein Sommerhaus, das mitwächst

Im Norden der dänischen Insel Seeland haben Norm Architects das Heatherhill Beach House entwickelt – ein Strandhaus, das so wandelbar ist wie die umgebende Natur.

Im deutschsprachigen Raum hätte man es womöglich das Fette-Hennen-Strandhaus getauft. Obwohl hier keineswegs die Rede von landwirtschaftlicher Nutzung ist. Und das Heatherhill Beach House des dänischen Studios Norm Architects mit Hühnerhaltung schon gar nichts zu tun hat. Höchstens im allerweitesten Sinne. Das Dach des Hauses in Heatherhill, das im Norden Dänemarks größter Insel Seeland liegt, soll nämlich vollständig mit der Pflanzengattung Sedum – zu Deutsch eben vor allem bekannt als Fette Henne – bepflanzt werden. Die genügsame Pflanze kann auf fast allen Bodentypen wachsen. Das macht sie nicht nur zu einer beliebten Gartenpflanze. Sie eignet sich auch optimal für die Begrünung von Dächern.  

Heatherhill House Dänemark
Der Norden Seelands, der größten Insel Dänemarks und der Ostsee, wird gerne mit mit der schottischen Küste verglichen.

Namensgebend für das umliegende Naturschutzgebiet und damit für das Projekt war dann schlussendlich aber eine andere Pflanze. Abgeleitet vom englischen Begriff für das in der Umgebung typische Heidekraut wurden daraus Heatherhill und das Heatherhill Beach House – und das klingt doch schon deutlich eleganter, oder?

Rekordverdächtig

Mit dem Haus, so das Architekturstudio mit Sitz in Kopenhagen, wollte man einen „Zufluchtsort vor dem stressigen Alltag in der Hauptstadt“ schaffen. Dafür wurden Elemente des klassischen dänischen Bauernhofs mit modernem Minimalismus vereint. Norm-Architektin Sophie Bak erzählt im Interview mit der Architekturplattform Dezeen, man sei von einem sehr traditionellen Stil ausgegangen. Um einen Innenhof zu erschaffen, habe man die längliche Form des klassischen Bauernhauses dann „auseinandergezogen und verschoben“ – ebenfalls ein stilistischer Wink mit dem Zaunpfahl.

Norm Architects
Eine adaptierte, klassische Bauernhaus-Form …
Front Heatherhill House
… mit Meerblick aus Küche und Wohnzimmer.

Schlichte Eleganz

Designtechnisch wird innen wie außen auf viel Holz gesetzt. Die Wände und Decken sind mit Zedernholz verkleidet, während die Böden größtenteils aus Douglasienholzdielen bestehen.

In den Gemeinschaftsräumen wie Küche und Wohnzimmer sind die Böden geziegelt, wobei die Ziegelsteine alle auf gleicher Höhe aneinandergereiht werden. Damit wollte man einmal mehr „traditionelle Materialien im zeitgenössischen Stil einarbeiten“, erklärt Bak. Das Holz, die klaren Linien sowie die warmen Beige- und Brauntöne sorgen außerdem dafür, dass das Heatherhill Beach House in seiner Schlichtheit viel Gemütlichkeit ausstrahlt.

Heatherhill House innen
Die Böden sind geziegelt, wobei die Steine alle auf gleicher Höhe aneinandergereiht wurden.

Platz für die ganze Familie

Architektin Sophie Bak führt aus: „Schon, wenn man das Grundstück über einen kleinen Schuppen betritt, kann man kurz das Meer erblicken. Folgt man dem Weg näher in Richtung Haus, kommt man auch der Aussicht näher.“ Drinnen gibt es Meerblick vom Wohnzimmer und der Küche aus. Diese befinden sich aufgrund des ungleichmäßigen Untergrunds auf verschiedenen Ebenen und sind somit durch wenige Stufen getrennt.

Der Rest der insgesamt 232 Quadratmeter des Hauses verteilt sich unter anderem auf vier Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Platz für eine ganze Familie also. Bei der Innenarchitektur der Badezimmer habe man sich vom japanischen Stil inspirieren lassen, sodass sich die Räume, deren Platzangebot man eher kompakt nennen kann, dennoch groß und geräumig anfühlen.

Badezimmer
Badezimmer im japanischen Stil …
Kueche Heatherhill House
… treffen auf warme Beige- und Brauntöne.

Eins mit der Natur

„Die Farbe und die Qualität des Zedernholzes ergänzt sich mit der rauen Naturumgebung“, so Bak. „Außerdem wird es durch die Witterung eine gräulich silberne Farbe annehmen, was nicht nur schön aussehen wird, sondern sich farblich dem naheliegenden Meer anpasst.“

Das bepflanzte Dach, das auf ausdrücklichen Wunsch des Besitzers entstand, trägt außerdem dazu bei, dass das Haus inmitten der grünen Hügel ein stimmiges Bild ergibt. Und der Hausherr kann sich freuen. Denn abgesehen davon ändert sich auch die Fassade des Hauses im Laufe der Zeit – das ganze Gebäude unterliegt somit vollkommen dem Wandel der Natur. Wenn man hier nicht zur Ruhe kommt, wo dann?

Text: Rabea Scheger
Bilder: Norm Architects

Eine Uni probt die Bauwende

Das Marga Klompé Haus der Universität Tilburg ist das erste Unigebäude der Niederlande, das aus Holz gebaut ist. Teil des kreislauffähigen Designs von Powerhouse Company ist eine Dämmung aus recycelten Jeans.

Marga Klompé war das erste weibliche Regierungsmitglied der Niederlande und brachte 1963 unter anderem das allgemeine Sozialhilfegesetz auf den Weg. 1982 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Universität Tilburg, nun hat man der 1986 verstorbenen Politikerin ein Denkmal gesetzt und das neue Universitätsgebäude nach ihr benannt. Im kürzlich eröffneten Marga Komplé Haus müssen sich die rund 1.000 Studierenden keine Sorgen um ihren CO2-Fußabdruck machen, denn der Neubau ist ressourcenschonend errichtet und im Betrieb (annähernd) klimaneutral.

Marga Klompé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Innen Holz, außen Stein: das neu eröffnete Marga Komplé Haus der Universität Tilburg.

So steht es in der Projektbeschreibung des Architekturbüros Powerhouse Company, das seine Pläne für den Bildungsbau detailgetreu umgesetzt hat. Schon allein die Visualisierungen, die in einem früheren Beitrag zum Projekt zu sehen sind, lassen sich von den Fotos, die nach der Fertigstellung gemacht wurden, kaum unterscheiden. 

Leichtbausystem aus Holz

Einige Adaptierungen musste man während der Bauphase dennoch vornehmen. Vor allem die akustischen Anforderungen des Gebäudes waren sehr hoch und stellten in Kombination mit der Holz-Leichtkonstruktion eine besondere Herausforderung dar. „Pionierarbeit ist nicht einfach, aber wir haben es tatsächlich geschafft, Design und Konzept zum Leben zu erwecken“, erklärte Architektin Janneke van der Velden gegenüber dem Architekturportal Dezeen.

Pionierarbeit ist nicht einfach, aber wir haben es tatsächlich geschafft, Design und Konzept zum Leben zu erwecken.

Janneke van der Velden, Architektin bei Powerhouse Company

Die angepeilte Kreislauffähigkeit des neuen Unigebäudes spiegelt sich im erneuerbaren Baumaterial wider. Nicht nur die Konstruktion besteht aus Holz, sondern auch sämtliche Wände, Böden, Treppen, Rahmen und Oberflächen. 

Marga Klompé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Ein zentrales Atrium versorgt die innenliegenden Räume mit Tageslicht.
Marga Klompé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Das Design orientiert sich am modernistischen Erbe des Bestandsgebäudes Cobbenhagen, das der niederländische Architekt Jos Bedaux 1962 entwarf.

Mithilfe eines Leichtbausystems in Form von Holzrippenböden ließen sich große Weiten überspannen, ohne die Raumakustik zu beeinträchtigen. „Holz ist eine sehr wichtige zirkuläre Komponente und schafft eine warme Atmosphäre – es fügt sich gut in den Baumbestand, der das Gebäude umgibt“, so Van der Velden.

Recycelte Jeans als Dämmung

Was die Nachhaltigkeit des Gebäudes betrifft, so haben sich die Architekten am Konzept Trias Energetica orientiert, das ursprünglich an der niederländischen Universität in Delft entwickelt wurde. Dabei ist die oberste Priorität den Energiebedarf eines Gebäudes durch bauliche Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren.

Die Baumwolldämmung aus Jeans ist nachhaltig und hat sich als hervorragende Möglichkeit erwiesen, den akustischen Komfort des Gebäudes zu verbessern.

Powerhouse Company, Architekturbüro

Die Energie, die für den Betrieb notwendig ist, soll in einer smarten Nutzung durch erneuerbare Quellen gedeckt werden. Und, falls fossile Energie zum Einsatz kommt, so soll diese effizient genutzt werden. So weit so logisch.

Marga Klompé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Nicht nur die Konstruktion des Neubaus besteht aus Holz, sondern auch sämtliche Wände, Böden, Treppen, Rahmen und Oberflächen. 
Marga Klompé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Auch im großen Auditorium lässt sich das Holz sehen und spüren.

Die funktionelle Landschaft

So wichtig der Klimaschutz bei Bauprojekten heute ist, so wichtig ist es auch, Maßnahmen zum Schutz vor den negativen Folgen des Klimawandels zu setzen. Richtete man sich bei der Gestaltung von Grünräumen früher nach rein ästhetischen Gesichtspunkten, so verbergen sich heute meist auch regulierende Funktionen hinter den gestalterischen Elementen.

In diesem Sinn entwarfen die mit dem Projekt beauftragten Landschaftsarchitekten von REDD ein Konzept für ein resilientes Ökosystem, in dem das Hochwasserrisiko minimiert ist. Die sanft abfallende Landschaft rückt bis an die Fassade des Marga Komplé Hauses heran. Ein mit Wildblumen bepflanztes Wadi ist nicht nur schön anzusehen, sondern dient auch als Versickerungsfläche im Fall von Starkregen, sodass die Kanalisation nicht überlastet wird.

Marga Klompé Building, Tilburg Universität, Powerhouse Company
Alles aus Massivholz – von der Treppe bis zum Handlauf.

Mit dem Holzbau sowie dem energieneutralen, kreislauffähigen Design setzt die Universität Tilburg ein klares Zeichen in Richtung Klima- und Bauwende. Dass das Marga Komplé Haus „Europas erstes Universitätsgebäude aus Holz“ ist, wie es in der Beschreibung der Architekten heißt, ist allerdings nicht ganz richtig. Das Ilse Wallentin Haus der Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) ist ein viergeschossiger Holzbau, der bereits 2020 eröffnet wurde.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Sebastian van Damme

Ein Hafen macht auf

Baltimores Inner Harbor soll revitalisiert und noch mehr ein Ort für Menschen werden. Die beauftragten Architekten von 3XN wissen, was sie tun, denn Kopenhagen hat dieselbe Entwicklung bereits hinter sich.

Seit den 1950er-Jahren haben die Hafenstädte der Industrienationen einen tiefgreifenden städteplanerischen Wandel durchgemacht. Logistische und technologische Umwälzungen in der Seeschifffahrt haben zu einer völligen Neuorganisation des Hafenbetriebs geführt. Der Siegeszug des Containers und der damit einhergehende erhöhte Flächenbedarf haben dazu geführt, dass sich die Umschlagterminals außerhalb der Städte angesiedelt haben. Die dadurch freigewordenen Flächen am Wasser sind unter dem Schlagwort Waterfront Revitalisation vielerorts zum Kernstück der Stadterneuerung geworden. 

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Anstelle des desolaten Shopping Centers Harborplace in Baltimore soll ein ikonischer und klimaresilienter Neubau treten.

In Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen etwa hat sich dadurch die Lebensqualität der Bewohner enorm erhöht. War das Hafenwasser früher eine stinkende Brühe, so wird heute darin gebadet. Öffentliche Hafenbäder von Star-Architekten, Saunaanlagen und schwimmende Parks haben das Wasser für die Stadtbewohner erschlossen und zum Naherholungsgebiet gemacht. 

Baltimores Inner Harbor 2.0

Die US-amerikanische Hafenstadt Baltimore hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Der Inner Harbor, der 1980 feierlich eröffnet wurde, ist heute das touristische Zentrum der Stadt. Für die Umgestaltung und Aufwertung des Hafengebietes wurde die Stadt damals mit zahlreichen Awards ausgezeichnet. Doch im Laufe der Jahrzehnte wurden die Promenaden-Pavillons marode, und die Stadtverwaltung hatte mit dem Problem zu kämpfen, dass sich im Hafenbecken der Müll sammelte. 

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Wasserseitig zieht sich die Fassade des neuen Hafenzentrums in Form von geschwungenen Terrassen nach oben.

Die nächste Erneuerung stand an und der Healthy Harbor Plan bescherte dem Areal unter anderem das Müll-Sammel-Boot Mr. Trash Wheel, das seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2008 bereits viele Hundert Tonnen Abfall aus der Chesapeake Bay geschaufelt hat. Das Naheliegende, nämlich dafür zu sorgen, dass der Müll erst gar nicht im Wasser landet, hebt man sich wohl für die nächste Runde der Hafenerneuerung auf.

Das konkave Design ist nicht nur ein ästhetisches Element – es schafft einen amphitheaterähnlichen Raum mit engen Bezügen zwischen den Aktivitäten auf jeder Ebene.

Jens Holm, Leiter des Nordamerika-Geschäfts von 3XN

Mit dem Revitalisierungsplan Inner Harbor 2.0 setzt nun auch eine architektonische Frischzellenkur ein, die das Hafengebiet um zusätzliche Anziehungspunkte erweitern soll: klimagerechte Parks, eine neue Fußgängerbrücke und einen Ersatzneubau für das heruntergekommene Einkaufs- und Marktzentrum Harborplace, das nach einer missglückten Übernahme in den letzten Jahren leer stand.

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Im Inneren präsentiert sich das Gebäude als Holzbau mit offenen Grundrissen und versetzten Galerien.

Ein Gebäude als begehbare Landschaft

An seine Stelle soll nun ein ikonischer Neubau treten, der das zum Ausdruck bringt, was der Inner Harbor zum Leitbild hat: Der Hafen gehört den Menschen. Entwickelt wird das freiwerdende Areal vom lokalen Developer MCB Real Estate. Das geplante Gebäude an der Adresse 201 E Pratt St. soll sich in der Form eines Amphitheaters zum Wasser hin öffnen und eine öffentlich begehbare Dachlandschaft bilden, mit weiten Blickbezügen über die Bucht.

Der Entwurf dafür stammt vom Kopenhagener Büro 3XN, das sich mit visionären Bauten am Wasser – wie das Shenzhen Natural History Museum – bereits einen Namen gemacht hat. In Anlehnung an die geblähten Segel, die in der Bucht auf und ab schaukeln, hebt sich die Gebäudefront in einem Schwung von der Wasserkante bis zur Höhe der umliegenden Bebauung. „Das konkave Design ist nicht nur ein ästhetisches Element – es schafft einen amphitheaterähnlichen Raum mit engen Bezügen zwischen den Aktivitäten auf jeder Ebene“, erklärt Jens Holm, Partner bei 3XN und zuständig für Nordamerika.

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Das neue Hafenzentrum soll ein Ort sein, an dem die Menschen zusammenkommen.

Breite Bürgerbeteiligung zu Beginn

In einem beherzten Prozess zur Bürgerbeteiligung hat man die Wünsche und Bedürfnisse der Einwohner eingefangen und in ein Konzept gegossen, das diese Inputs möglichst vielfältig abbilden sollte. „Diese Stadtentwicklung ist eine einzigartige Gelegenheit, den Raum neu zu denken und einen besseren Zugang zum Wasser für alle zu schaffen“, sagt David Bramble, Geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer von MBC.

Dieser Entwicklungsprozess ist eine einzigartige Gelegenheit, den Raum neu zu denken und einen besseren Zugang zum Wasser zu schaffen.

David Bramble, Geschäftsführender Gesellschafter von MBC

Diesem Konzept zufolge soll das neue Hafenzentrum ein Ort sein, der kulturelle, gewerbliche und gastronomische Angebote bietet und dabei besonders lokale Unternehmen, Kunsthandwerker und Kreative unterstützt. Die räumlichen Möglichkeiten will man flexibel anlegen und auch Platz für eine öffentliche Markthalle schaffen. Konnte der Bestandsbau weder der Zeit noch den gestiegenen Umweltanforderungen standhalten, so setzt der Entwickler beim Neubau auf möglichst große Resilienz und Langlebigkeit.

Harborplace Baltimore, Inner Harbor, 3XN
Resilienz und Langlebigkeit stand bei der Konzeptentwicklung des Neubaus im Vordergrund.

Klimaresilienz im Fokus

3XN, die Innovationsabteilung des dänischen Architekturbüros, erarbeitete daher zusammen mit dem Design-Team eine Strategie. Das Ziel war ein Gebäude, das nicht nur ästhetisch und funktional ist, sondern auch nachhaltig und klimaresilient. Die Form des Gebäudes mit dem Aufwärtsschwung der Fassade trotzt den Küstenwinden, während die umfangreiche Fassadenbegrünung dem Regenwassermanagement dient. 

Kim Herforth Nielsen, Gründer und Kreativchef von 3XN, sieht große Parallelen zwischen Baltimore und seiner Heimatstadt Kopenhagen, die eine erfolgreiche Transformation des Hafens von einem Ort der Industrie zu einem Ort für Menschen hinter sich hat. „Bei diesem Projekt in Baltimores Inner Harbor können wir dasselbe tun – den Menschen einen Ort bieten, an dem sie zusammen sein und ihre Stadt feiern können.“

Text: Gertraud Gerst
Visualisierungen: 3XN

Ein Holzbau für den Wiener Prater

Das neue Pratermuseum ist eröffnet. Architekt Michael Wallraff hat einen der ersten öffentlichen Holzbauten der Stadt entworfen und das Klimasystem gemeinsam mit einem Wiener Start-up dekarbonisiert.

Als Joseph II. 1766 die kaiserlichen Jagdgründe für alle öffnen ließ, bekam Wien ein weitläufiges Naherholungsgebiet in der Wiener Leopoldstadt, das bis heute von Aulandschaften geprägt ist. Es war der Beginn einer Demokratisierung von Erholung und Vergnügen, das nicht mehr an einen kirchlichen Kalender gebunden war. An der Nordwestspitze des Areals entstand der Wurstelprater, einer der ältesten Vergnügungsparks der Welt. Neben dem weltbekannten Riesenrad verfügt er auch über weniger bekannte Wahrzeichen, wie den Watschenmann, bei dem man Ende des 19. Jahrhunderts erstmals seine Schlagkraft unter Beweis stellen konnte. „A Watschn 2,-„ ist auf dem Schild zu lesen, das er an einer Kette um den Hals trägt. Heute wird er nicht mehr geschlagen, sondern zeugt im neuen Pratermuseum von der 250-jährigen Geschichte der Schaubuden und Attraktionen. Nach jahrzehntelanger Untermiete im Planetarium gibt es nun ein eigenes Museumsgebäude, das nun im Frühjahr eröffnet wurde.

Pratermuseum, Holzbau, Michael Wallraff, Watschenmann, TimTom
Der Watschenmann kann heute nicht mehr geschlagen, sondern im neuen Pratermuseum als Vintage-Attraktion bestaunt werden.

Architekt Michael Wallraff legte beim Konzept nicht nur Wert auf eine nachhaltige Umsetzung und einen energieschonenden Betrieb, auch der demokratische Grundgedanke war entscheidend: „Wir wollten das Pratermuseum öffnen und das Publikum niederschwellig abholen. Deshalb gibt es zwei gleichwertige Haupteingänge, die eine Art halböffentliche Passage bilden.“ Während sich in den drei Stockwerken darüber die Geschichte des Praters im Detail erkunden lässt, gibt es im Foyer mit dem Panoramabild des Vergnügungsparks von Olaf Osten bereits einen ersten Vorgeschmack.

Freier Blick aufs Riesenrad

Eine Vorgabe der Magistratsabteilung 19 (MA 19), zuständig für Architektur und Stadtgestaltung, war, dass der Neubau nicht die Sicht auf das Riesenrad verstellen dürfe. „Durch die Bauvorgabe hat sich das hohe Volumen ergeben, aus dem wir einen Blickkegel von der Hauptachse des Wurstelpraters ausgeschnitten haben“, erklärt Wallraff den Prozess der Formfindung.

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Laut Vorgabe der MA 19 sollte der Neubau nicht den Blick aufs Riesenrad verstellen.

Durch die Bauvorgabe hat sich das hohe Volumen ergeben, aus dem wir einen Blickkegel von der Hauptachse des Wurstelpraters ausgeschnitten haben.

Michael Wallraff, Architekt

Die so entstandene kegelförmige Dachform hat von innen etwas Zeltartiges und habe, so der Architekt, ganz gut zum Thema gepasst. Bei seiner Form bezieht sich das Gebäude auch auf die vorhandene Typologie der kulissenhaften Praterbuden. „Das neue Pratermuseum sollte eine wiedererkennbare Landmarke setzen und eine Silhouette ergeben, die in den Wurstelprater passt.“

Holzbau spiegelt Vergangenheit und Zukunft

Was auch der architektonischen Geschichte des Ortes entspricht, ist die Wahl des Baumaterials. „Der Baustoff Holz passt inhaltlich gut in den Würstelprater, da die traditionelle Praterarchitektur immer ein Leichtbau aus Stahl oder Holz war.“ Dass mit dem Museum auch Wiens erster öffentlicher Holzbau entstanden ist, hat natürlich in erster Linie mit der Klimafreundlichkeit des Baumaterials zu tun, die im Nachhaltigkeitskonzept festgeschrieben ist.

Pratermuseum, Eingangsbereich, Olaf Osten, Prater Gemälde
Das große Prater-Wimmelbild von Olaf Osten befindet sich im Eingangsbereich und ist frei zugänglich.

Der Baustoff Holz passt inhaltlich gut in den Würstelprater, da die traditionelle Praterarchitektur immer ein Leichtbau aus Stahl oder Holz war.

Michael Wallraff, Architekt

Aufgrund der hohen geltenden Brandschutzvorschriften ist es ein Holz-Hybridbau geworden. Die beiden Feuermauern zu den Nachbargrundstücken in den unteren zwei Geschossen mussten in Beton errichtet werden. „Der Rest, also rund 80 Prozent des Gebäudes, sind aus Holz gebaut“, so Wallraff, für den der Holzbau im urbanen Raum noch Entwicklungspotenzial hat. Allerdings relativiert er: „Man darf nicht glauben, dass der Holzbau die Lösung aller Probleme ist, aber er liefert eine mögliche Variante, Dinge CO2-schonend zu lösen.“

Energieeinsparung durch innovative Bauteilatmung

Auch bei der Klimatisierung des Gebäudes hat man eine CO2-schonende Lösung gefunden. Da Museumsbauten für gewöhnlich sehr hohe Anforderungen an das Raumklima haben, braucht es meist sehr energieintensive Lüftungsanlagen. Im neuen Pratermuseum kommt erstmals eine Innovation zum Einsatz, die eine neue Art der Flächenkühlung ermöglicht.

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Früher waren im Wurstelprater exotische Tierschauen mit Haifischen, Krokodilen und Affen zu sehen.

Das Wiener Start-up Abaton hat ein Klimapaneel entwickelt, mit dem sich das übliche Tauwasserproblem von Flächenkühlungen umgehen lässt. Im Gegensatz zu konventionellen Kühlpaneelen können die drei Zentimeter starken Bauplatten auf Mineralschaumbasis nicht nur Temperaturen speichern, sondern auch Feuchtigkeit puffern. Diese neuartigen Paneele wurde nun erstmals in einem Museumsbau eingesetzt.

Durch das innovative Kühlsystem brauchen wir wesentlich weniger Lüftungsleistung als im konventionellen Museum.

Michael Wallraff, Architekt

„Durch das innovative Kühlsystem brauchen wir wesentlich weniger Lüftungsleistung als im konventionellen Museum“, betont Wallraff. Konkret soll die sogenannte Bauteilatmung bis zu 30 Prozent an Energie einsparen und rund 50 Prozent weniger CO2-Emissionen erzeugen als herkömmliche Systeme.

Innovative Klimakonzepte gefragt

„Das Klimapaneel, das wir sowohl vertikal als auch horizontal eingesetzt haben, spart spürbar Primärenergie. Die restliche Energie wird über eine Wärmepumpe erzeugt, die mit Photovoltaik betrieben wird“, fasst Wallraff das Energiekonzept zusammen.

Der steigende Bedarf an Raumkühlung in einer immer wärmeren Welt ist laut Fatih Birol, dem Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), „der größte blinde Fleck der Klimadebatte“. Innovationen in diesem Bereich leisten daher einen wichtigen Beitrag, um den CO2-intensiven Gebäudesektor klimafit zu machen. 

Pratermuseum, Plakat, Eröffnung, Olaf Osten

Im Vorjahr durchbrach der Wiener Wurstelprater erstmals die Rekord-Schallmauer von sieben Millionen Besuchern. Mit dem neuen Pratermuseum hat seine historische Sammlung eine richtungsweisende Architektur bekommen. Ein Museum, das sich inhaltlich der Vergangenheit widmet, während der Holzbau mit dem energiesparenden Klimakonzept in die Zukunft weist.

Text: Gertraud Gerst
Fotos: Herta Hurnaus, Klaus Pichler, TimTom

Die tun was für Studierende

ASAS arkitektur hat die Studentenwohnheime der Toneheim Folkehøgskole durch neue ersetzt. In der Mitte: ein Hof, der in Norwegen traditionell „Tun“ heißt. Die dorfähnliche Struktur fördert das Zusammenspiel der Bewohner. Perfekt für ein Musik-College.

Graue unpersönliche Kästen? Zellen an langen öden Korridoren? Fantasielose Container-Dörfer gar? Was das studentische Wohnen über Jahrzehnte prägte, ist zum Glück ein Auslaufmodell. Zwar geht es weiterhin darum, Studierenden praktischen Wohnraum zu fixen, überschaubaren Kosten zur Verfügung zu stellen, damit sie sich auf ihre Ausbildung konzentrieren können. Und nach wie vor hat die Architektur auch immer noch die Verantwortung, „die Grundlagen für ein autarkes Leben in einem geschützten Raum zu schaffen“, wie Marina Döring-Williams betont, Professorin an der TU Wien und Co-Autorin des Buchs „Das Wiener Studentenheim“. Moderne Studentenwohnheime meistern durch eine Kombination aus innovativen Bautechnologien und nutzerzentrierter Planung mittlerweile aber auch die Herausforderung, zeitgemäße Ansprüche in Bezug auf Ökonomie und Ökologie mit Lebensqualität unter einen Hut zu bringen. Zunehmend werden sie gar zu Pionieren und Laboren für das urbane Wohnen der Zukunft.

Voderansicht Studentwohnheim ASAS arkitektur
Das neue Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole in Ridabu, Norwegen, wurde von ASAS arkitektur geplant.

Vielfalt studentischen Wohnens

Wie vielfältig sich studentisches Wohnen heute gestalten lässt, zeigte das Deutsche Architektenblatt, kurz DAB, unlängst mit der Vorstellung einer kleinen Auswahl von Projekten. Beeindruckend auch das Beloit College Powerhouse, über das wir schon berichteten. Und eine Studie der WOKO (Studentische Wohngenossenschaft Zürich) versammelte ebenso einige Vorzeigebauten. Ihnen gemein ist, dass sie nie auf die nebeneinander existierenden Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Privatsphäre vergessen. Besonders im Trend liegen einerseits Wohngemeinschaften in möglichst kleinen Gruppen von zwei bis maximal neun Personen, anderseits Einzelappartements mit eigenem Bad und Kochgelegenheit. Moderne Einrichtungen setzen zudem auf eine Mischung aus halböffentlichen Bereichen und privaten Treffpunkten für Lerngruppen.

Studentenwohnheim Toneheim Folkehøgskole Norwegen
Um die Bauzeit zu verkürzen, setzte man auf eine modulare Bauweise und vorgefertigte Holzkonstruktionen.

Raum für Musik(er)

Ein Projekt, das auf den Listen fehlt, ist das Studentenwohnheim von ASAS arkitektur in Ridabu vor den Toren der norwegischen Olympiastadt Hamar. Nicht, weil es keinen Platz darauf verdient hätte. Sondern weil es ganz neu ist. Die Planer ersetzten damit das bestehende und schon deutlich in die Jahre gekommenen Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole, einer Art College, das sich der Ausbildung von Musikerinnen und Musikern verschrieben und auch schon einige Berühmtheiten hervorgebracht hat.

Um die Bauzeit der Passivhäuser zu verkürzen, setzte man bei der Betonkonstruktion auf eine modulare Bauweise und auf vorgefertigte Holzkonstruktionen als Hauptelemente. Außerdem verfolgte man die Idee einer einfachen Baustein-Struktur. Sie wiederholt und variiert sich – je nach Platzierung der einzelnen Gebäude auf dem Grundstück und ihrer Ausrichtung. „Durch dieses Prinzip konnte das Gelände größtenteils so belassen werden, wie es war“, so die Planer. Zusätzlich zahlt der kompakte Grundriss auf die Effizienz hinsichtlich Raumnutzung, Energie und Wirtschaftlichkeit ein.

Zimmer im Passivhaus
Die Zimmer des Studentenwohnheims: zweckmäßig, …
Ausblick aus dem Wohnheimzimmer
… aber mit schönem Ausblick.

Holz gegen dicke Luft

So schnell der Bau vonstatten ging, so lange nahm man sich Zeit für die Planung. Ideen und Konzepte werden bei ASAS arkitektur nämlich hauptsächlich von Hand zu Papier gebracht. „Bei der Handskizze werden die räumlichen Qualitäten an physischen Modellen getestet, bevor die Projekte in die digitale 3D-Welt einfließen“, erklärt das Büro. So hätten die Teams Zeit, das optimale Verhältnis zwischen Form, Raum und Funktion zu untersuchen und die richtige Strategie für Nachhaltigkeit, Systeme und Materialien zu wählen, heißt es aus dem Osloer Hauptsitz. Ein Ergebnis des Prozesses war im Falle des Studentenwohnheims der Toneheim Folkehøgskole eine verkettete Gebäudestruktur. Sie sorgt für kleinere Fassaden und begrenzt den Wärmeverlust. Alle Fenster haben zudem sehr niedrige U-Werte und können, wenn es Tages- und Jahreszeit zulassen, auch als Sonnenfänger fungieren.

Im Inneren der Blöcke finden sich je fünf Zwei-Personen-Zimmern, Sanitäranlagen, ein Aufenthalts- und ein Gemeinschaftsraum mit Küche. Letzterer liegt so, dass die Bewohnerinnen und Bewohner an ihm vorbekommen, wenn sie ins oder aus dem Gebäude unterwegs sind. Das soll die Interaktion und Kommunikation fördern. Dafür, dass raumklimatisch keine dicke Luft zwischen den Studierenden herrscht, sorgen Innenwände aus Fichtenholz.

Treppehaus im Wohnheim
Viel Holz fürs Raumklima, …
Treppenhaus im Studentenwohnheim
… und mit Sitzecken als Rückzugsort geplant.

Treppe als Rückzugsraum

Das Massivholz kam auch bei der Außenverkleidung zum Einsatz. Über die Jahre werden die Gebäude also eine silbergraue Patina erhalten. Ansonsten werden die effizienten Gebäude nicht so schnell altern. Die auch für Rollstuhlfahrer zugänglichen Schlafzimmer können jedenfalls auf vielfältige Weise eingerichtet und genutzt werden. Der Stauraum ist maximiert, mit Platz unter dem Bett und einer Wandnische darüber. Von den Schlafzimmern im Süden und Westen hat man einen schönen Blick auf das ländliche Stangelandet, von jenen im Nordosten auf die Vang-Kirche.

Das Zweibett-Zimmer ist nicht privat genug? Auch daran haben die Planer gedacht. Ihre Lösung: Sie integrierten die Treppe in den Gemeinschaftsraum. Man muss aber nicht auf den Stufen sitzen, um in Ruhe zu lesen oder zu telefonieren. Vielmehr beherbergt der Treppenturm kleine, intime Rückzugsäume. Außerdem ist er auch ein wichtiges internes und externes Element in Bezug auf die Form der Häuser und: ein Teil des Nachhaltigkeitskonzepts. Denn die Oberlichter im Treppenhaus sorgen für einen großzügigen Tageslichteinfall in den Häusern.

Vogelperspektive Wohnheim Ridabu
Von oben erkennt man gut, wie die einzelnen Blöcke um den Tun, den traditionellen Hof, herum errichtet wurden.

Das Tun rund um den Tun

Es ist also genau genommen nicht ganz richtig, von einem Wohnheim zu sprechen. Vielmehr schuf das Team von ASAS arkitektur auf dem Gelände ein ganzes Dorf. Die Gebäude gruppieren sich dabei um einen Hof herum, der in Norwegen traditionell „Tun“ genannt wird. Der Ausdruck geht auf die Bezeichnung „Tunanlegg“ für frühgeschichtliche Hofsiedlungen zurück. Bis heute ist diese landestypische, dorfähnliche Struktur, die tief mit dem Ort und seiner Geschichte verwurzelt ist, für Bauerhöfe im hohen Norden weit verbreitet.

In Ridabu wählte man sie einerseits, weil die Ausbildungsstätte auch ein Ort war und ist, an dem Traditionen hochgehalten werden. Und das sollte sich in der Architektur des neuen Studentenwohnheims der Toneheim Folkehøgskole widerspiegeln. Andererseits trägt der Dorfcharakter auch zum Wohlbefinden der Lernenden wie Lehrenden bei. Im „Tun“ wurden Obstbäume und robuste, pflegeleichte Sträucher gepflanzt, wie etwa die Junibeere, die im Frühjahr blüht und im Herbst Beeren liefert. Außerdem wurden im Hof mit Rasenflächen und Bänken Begegnungs- und Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen.

Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole
Der Hof zwischen den Gebäuden: eine Begegnungszone.
Holzfassade des Studentenwohnheims
Die Holzfassade wird sich mit der Zeit „versilbern“.

Gemeinschaft ist beim Studentenwohnheim der Toneheim Folkehøgskole auch inklusiv gedacht geworden. Die unzähligen Laufwege gewährleisten durch taktile Aufmerksamkeitszonen und in die Gehwege integrierte Führungslinien die Orientierung für Sehbehinderte. Und nicht zuletzt sind neben den Eingängen auch alle Gemeinschaftsräume auf den Hof ausgerichtet. Für den Blick ins Grüne. Aber auch für den optische Erinnerung, dass man in eine große Community eingebunden ist.

Denn mag man auch musikalisch ein Solist sein: Ohne Orchester und das Zusammenspiel geht es auf Dauer nicht.

Text: Daniela Schuster
Bilder: ASAS arktektur

Wie Phönix aus der Asche

Im einstigen Industrieviertel der südenglischen Stadt Lewes entsteht Großbritanniens größtes Quartier in Holzbauweise. Phoenix nennt sich das neue Stadtgebiet, mit dem ein kleiner Developer den britischen Wohnbausektor aufmischt.

Der Wohnbausektor in Großbritannien ist seit einigen Jahrzehnten in festen Händen. Während der Markt früher von einer Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen bespielt wurde, werden heute laut dem Branchenportal „building.co.uk“ 80 Prozent aller neuen Wohnungen von fünf großen Playern gebaut. Der neue Entwickler Human Nature aus East Sussex möchte den Beweis antreten, dass auch kleinere Unternehmen mitmischen und mitunter erfolgreicher sein können als die Platzhirschen. Nämlich wenn es darum geht, leistbaren Wohnraum und ein Stadtgefüge zu schaffen, das architektonischen Anspruch hochhält und ökologisch und sozial nachhaltig ist. Mit dem Projekt Phoenix in der historischen Stadt Lewes in East Sussex soll eine Industriebrache zur neuen Vorzeigestadt werden. Und zu Großbritanniens größtem Stadtgebiet, das aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gebaut ist.

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So soll das neue Viertel in Holzbauweise in der südenglischen Stadt Lewes aussehen.

Ehemaliger Greenpeace-Chef als Developer

Bei ähnlichen Projekten dieser Art seien es meist die nachhaltigen und sozialen Aspekte, die im Sinne der Gewinnmaximierung als erstes dem Rotstift zum Opfer fallen. „Grundsätzlich ist es unsere Überzeugung, dass Grundstückseigentümer und Entwickler zu viel Geld auf Kosten der Gemeinden, der Qualität und der Nachhaltigkeit von Orten abziehen und dass ein neues Gleichgewicht gefunden werden muss“, erklärt Jonathan Smales, CEO von Human Nature und früherer Geschäftsführer von Greenpeace. „Human Nature hat sich bei diesem Projekt für eine kleinere Gewinnspanne entschieden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und der Stadt mehr soziale und wirtschaftliche Vorteile zu bieten.“

Human Nature hat sich bei diesem Projekt für eine kleinere Gewinnspanne entschieden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und der Stadt mehr soziale und wirtschaftliche Vorteile zu bieten.

Jonathan Smales, CEO von Human Nature

Smales und sein Team sind in der Gegend im Südosten Englands persönlich verwurzelt und nicht dem großen Druck von Shareholdern oder Kreditgebern ausgesetzt, der viele Entwickler dazu bringt, Kosten zu senken und Kompromisse bei der Qualität einzugehen. Dass Human Nature einen anderen Weg gehen will, zeigt schon das etwas großspurige Intro-Statement auf ihrer Website: „Es gibt eine viel, viel bessere Welt. Aber man muss sie gesehen haben, um daran zu glauben.“ Mit dem Großprojekt, das auf dem Gelände des ehemaligen Eisenwerks Phoenix an die 700 neue Wohnungen entstehen lässt, möchte Human Nature die Latte für neue Mixed-Use-Projekte in Großbritannien höher legen.

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Eine Wohnhausanlage direkt am Fluss Ouse nach den Plänen des Büros Adam Richards Architects.

Ein Masterplan für die autofreie Stadt

Phoenix ist als fußgänger- und fahrradfreundliches Viertel konzipiert, in dem es nur sehr begrenzt straßenseitige Parkplätze gibt. Stellplätze für Autos gibt es stattdessen in einem sogenannten Co-Mobility Hub am südlichen Rand des Viertels. Car- und E-Bike-Sharing sowie ein Shuttlebus-Service sollen dazu animieren, dass auf das Fahren im eigenen Auto möglichst verzichtet wird.

Den Masterplan für das neue Stadtgebiet hat das Team von Human Nature zusammen mit dem Architekturbüro Periscope und Kathryn Firth erstellt, der Leiterin der Urban-Design-Abteilung des Planungsbüros Arup. Die Gebäude sind zwei- bis fünfstöckig geplant und orientieren sich an lokalen Typologien und baukulturellen Gegebenheiten.

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Der Masterplan für das neue Stadtviertel setzt auf fußgänger- und fahrradfreundliche Straßen.

Ressourcen schürfen im Bestand

Den Bestand des einstigen Industrieviertels will man, so weit es möglich ist, renovieren und für die gemeinschaftlichen Bereiche wie Kantine, Veranstaltungssaal, Fitness Center und Werkstätten nutzen. Darüber hinaus soll in den nicht erhaltenswerten Bestandsstrukturen nach wiederverwendbaren Rohstoffen geschürft werden.

Die Firma Local Works Studio aus East Sussex, die auf die kreative Wiederverwendung von Materialien spezialisiert ist, hat das gesamte Grundstück begutachtet. Dabei wurden alle verbauten Materialien, die sich wiederverwenden oder recyceln lassen, katalogisiert, in erster Linie sind das Stahl, Holz, Ziegel und Beton. Aus einem Stahlgerüst will man beispielsweise eine neue Fußgängerbrücke über den Fluss Ouse errichten, der das Grundstück an der Ostseite begrenzt.

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Einige Bestandsgebäude des Industriegebietes sollen erhalten um umgenutzt werden, in anderen wird nach wiederverwertbaren Materialien geschürft.

Alle Neubauten in Holzbauweise

Die Energieeffizienz des neuen Stadtviertels und der Betrieb durch erneuerbare Energien zielt auf einen CO2-armen Betrieb ab. Alle geplanten Neubauten in Phoenix sollen in Holzbauweise errichtet werden. Das Holz dafür wird vermutlich aus dem kontinentalen Europa bezogen, während das Holz für die Fassadenpaneele aus lokaler Produktion stammt.

Das Bauen mit natürlichen Materialien liegt auf der Hand, wenn man es mit der Nachhaltigkeit ernst meint und sich nicht bloß Lippenbekenntnissen hingibt.

Jonathan Smales, CEO von Human Nature

Immerhin ist East Sussex die Grafschaft mit den zweithöchsten Waldbeständen in England. Das Potenzial für einen langfristig erfolgreichen Industriezweig sei laut Smales vorhanden. „Das Bauen mit natürlichen Materialien liegt auf der Hand, wenn man es mit der Nachhaltigkeit ernst meint und sich nicht bloß Lippenbekenntnissen hingibt“, so Smales. In herkömmlicher Bauweise würde es 40 Jahre dauern, um die entstandenen Emissionen wieder auszugleichen, rechnet er vor.

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Am Flussufer sollen öffentliche Bereiche mit hoher Aufenthaltsqualität entstehen.

Erfolg durch Nachhaltigkeit

Das Projekt hat kürzlich die Baugenehmigung erhalten, eine Hürde, an der ein anderer Developer zuvor gescheitert war. Eine lokale Interessensgruppe namens Lewes Phoenix Rising hatte sich gegen das Vorgängerprojekt ausgesprochen und forderte eine dezidiert nachhaltige Entwicklung des Areals. 

Dass die Industriebrache nun wie Phönix aus der Asche steigt, ist nicht zuletzt der sozialen Nachhaltigkeit des aktuellen Projektes zu verdanken. Mit seinem Konzept will Human Nature die Menschen mitnehmen und ihnen Perspektiven bieten. Im Zuge des Immobilienprojektes soll eine Reihe an Arbeits- und Ausbildungsplätzen entstehen. Die Fassadenpaneele etwa werden aus Holz und Hanfbeton in einer Produktionsstätte vor Ort hergestellt. Damit will man jungen Menschen die Möglichkeit bieten, in Kooperation mit dem East Sussex College eine Ausbildung in nachhaltigen Bauweisen zu absolvieren.

Text: Gertraud Gerst
Fotos und Visualisierungen: Human Nature, Periscope, Adam Richards Architects, Ash Sakula Architects, Mae Architects

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